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Channel: Belltower News - Neue Rechte
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"Der große Austausch” oder die spinnerte ideologische Grundlage der Neuen Rechten

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Die Neue Rechte versucht sich als intellektuelle Speerspitze und Avantgarde zu verkaufen, schaut man sich ihre Theorien dabei genauer an, wird schnell klar, dass man es am Ende eben doch nur mit dem immer gleichen Antisemitismus und Rassismus zu tun hat.
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Die Angst vor einem staatlich organisierten oder zumindest geduldeten Bevölkerungsaustausch ist die Basis  einer vitalen, rechtsextremen Protestbewegung. Doch was meint die Verschwörungsideologie des "großen Austausches" oder der "Umvolkung"?

 

Von Kira Ayyadi

 

Rechtsextreme Gruppen und Strömungen wie die "Identitäre Bewegung" und Pegida, aber auch Akteur_innen der Neuen Rechte um Götz Kubitschek nutzen seit Langem die Begriffe "der große Austausch" oder "Umvolkung", um Hass gegen Migrant_innen und Muslime zu schüren. Besorgniserregend ist, dass sich diese Begriffe mittlerweile in das rhetorische Arsenal von Teilen des Bürgertums eingeschlichen haben.  

 

In Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien, den Niederlande und in den skandinavischen Ländern ist gerade etwas Böses im Gange, so die neurechte Verschwörungsideologie: Die Stammbevölkerung solle durch Migrant_innen ausgetauscht werden.

Quelle: Screenshot

 

Renaud Camus als Vordenker des "großen Austausches"

Geprägt wurde die Bezeichnung "der große Austausch" durch den französischen Rechtsdenker Renaud Camus im Jahre 2013. Sie ist Ausdruck des Konzepts des sogenannten "Ethnopluralismus", der zentralen Denkvorstellung der Neuen Rechten.

 

In dem Aufsatz "Der Große Austausch oder: die Auflösung der Völker" schreibt Camus: "In Frankreich sind die Greise tendenziell ‘Stammfranzosen’, während die Säuglinge Araber oder Schwarze sind, meistens aus muslimischen Familien." Offenbar meint er allein aufgrund von äußeren Merkmalen bestimmen zu können, wer Franzose sei und wer nicht: Wer nicht "arisch" aussieht, sei nicht Teil der Kultur. Ginge es nach ihm, so würde er bestimmen, wer Kinder bekommen darf und wer nicht: "Es geht nicht darum, daß die Europäer mehr Kinder zeugen müssen; es geht darum, die Nichteuropäer daran zu hindern, in Europa Kinder zu zeugen." Forderungen nach Eugenik klingen ähnlich.

 

Camus behauptet, dass niemand, der migriert, Teil der neuen Gesellschaft sein möchte. Ein friedliches Miteinander geht für Camus nur dann, wenn Migrant_innen ihre Identität aufgeben. Da sie dies nachvollziehbarerweise nicht wollen würden, könnten Migrant_innen aber auch nie akzeptierter Teil der Gesellschaft sein. Identität ist für Camus und die Neue Rechte etwas Starres, Unveränderbares.

 

"Revolte gegen den großen Austausch" im "Antaios"-Verlag

Die deutsche Übersetzung des Werks von Camus findet sich in dem Sammelband "Revolte gegen den großen Austausch". Erschienen ist der Band 2016 bei "Antaios", dem Verlag von Götz Kubitschek. Der Herausgeber  ist eine zentrale Person der Neuen Rechten und enger Weggefährte des AfD-Rechtsauslegers Björn Höcke. Dem Camus-Text gehen ein Vorwort von Martin Semlitsch (Künstlername: Martin Lichtmesz) sowie ein Interview mit Camus durch Semlitsch voraus. Nach dem übersetzten Text folgt der Aufruf "Revoltiert!". Das Ziel der Neuen Rechten ist es, mit dieser Erzählung unsere pluralistische Demokratie in die Nähe einer Diktatur zu stellen. So soll die Bevölkerung zum Widerstand aufgestachelt werden.

 

Wer plant den "großen Austausch"?

Doch wer ist nach Ansicht der Neuen Rechten Schuld am "großen Austausch"? In einem Nachwort von Martin Sellner, der die Rezeption Camus’ durch die "Identitären" bejubelt, beschuldigt der IB-ler eine nicht näher ausgeführte Elite in Europa einen "Bevölkerungsaustauschs" durchzuführen. Diese Elite, so die Erzählung dieser Verschwörungsideologie, siedle Migrant_innen bewusst in Europa an, um so das "Volk" (nach Definition der Rechtsextremen) schrumpfen zu lassen. Somit wäre Migration nicht die Folge von Konflikt- und Kriegssituationen oder individueller Entscheidungen. Vielmehr imaginiert diese Theorie, dass Migration im Auftrag einer geheimen und gesteuerten Mission erfolgt.

 

Sellner schreibt: "Europa ergeht es im ’Refugees welcome’-Wahn wie einem ans Bett gefesselten Menschen, der zum Zwecke seiner Vivisektion mit Injektionen ruhiggestellt wurde. […] Langsam fließt ein betäubendes und schwächendes Gift in seine Blutbahn. Seine Widerstandskraft schwindet zusehends." Auch Jüdinnen und Juden wurden während der NS-Zeit von Nazis als Gefahr und Gift für den "Volkskörper" bezeichnet, um so ihre Verfolgung zu legitimieren.  

Quelle: Screenshot

 

Beweise für einen "großen Austausch"? Fehlanzeige

Belegt wird diese krude Theorie hauptsächlich mit der Empirie. So wird stets auf Großstädte verwiesen, in denen die Neuen Rechten - in großen Teilen klassische Rechtsextreme-  rein optisch viele Muslime auszumachen meinen. Auch die demographische Entwicklung wird als Beweis eines diabolischen Plans gewertet, gerne mit einem Verweis auf einen UNO-Bericht aus dem Jahr 2001. Der Bericht rechnet Szenarien durch, wie viel Einwanderung nötig wäre, um die schrumpfenden Bevölkerungszahlen in acht Ländern mit besonders niedrigen Geburtenraten in den nächsten Jahrzehnten auszugleichen, da sie ohne Einwanderung gravierende Probleme mit ihren Sozialsystemen bekommen werden.

 

 

Warum der Plan eines "großen Austausches"?

Nun stellt sich die berechtigte Frage, warum die Bundesregierung, europäische Verantwortliche oder sonstige nebulösen "Eliten" einen Bevölkerungsaustausch anstreben sollten. Als wäre die Idee einer "Umvolkung" nicht schon absurd genug, ist die Begründung noch um einiges wirrer. Hinter dem öffentlichkeitswirksamen Reizwort stehen nämlich Ideen, die vernünftig denkende Menschen kaum überzeugen dürften.

 

In der selbst gegebenen Erklärung dieser ersponnenen Theorie soll das stolze deutsche Volk schlicht aus Profitgier durch ein folgsames arbeitswilliges Anderes ersetzt werden. Durch ein gehorchendes aber dummes Volk solle die Produktionskapazität Deutschlands gesteigert werden, woran sich  die “Eliten” bereichern würden.

 

Quelle: Screenshot

Auftraggeber dieses Plans, so die dystopische Verschwörungsideologie, seien “Großkapitalisten”. Diese Globalplayer fordern immer mehr Einwanderung, weil sie einen großen Bedarf an billigem, austauschbarem Humankapital hätten. In der rassistischen Vorstellung sind Kinder, die aus "Mischehen" stammen, dümmer als die der "Arier". Praktisch für die  "Großkapitalisten", da diese Arbeitnehmer_innen nicht zum selbstständigen Denken fähig seien und nicht rebellieren würden.   

 

Der Antisemitismus hinter der Theorie des "großen Austausches"

Wie bei den meisten Verschwörungstheorien, ist auch diese in ihrem Kern zutiefst antisemitisch. Der Verschwörungsideologie-Experte Jan Rathje dazu: "Seit der Shoah ist expliziter Antisemitismus tabuisiert und strafrechtlich in manchen Ländern geahndet. Deshalb wird er über Codes und Chiffren ausgedrückt, um die antisemitischen Einstellung trotzdem zu äußern und einen Vorwurf abzuwehren. Über das Netzwerk der "Identitären" wird die Möglichkeit zur Dechiffrierung deutlich: Rothschild oder Soros werden von Jürgen Elsässer und seinem Compact Magazin deutlicher benannt. Es ist auffällig, dass beim 'Großen Austausch' der IB eine Projektionsfläche für verschwörungsideologisch geleiteten, nationalen und sogenannten sekundären Antisemitismus als ideologisches Angebot verbreitet werden."

 

Die Hauptakteure der Neuen Rechte sind mittlerweile sehr darauf bedacht, nicht offen antisemitisch zu wirken. In einer Lesermail, die uns vor einigen Wochen erreichte, wird der Antisemitismus hinter der Theorie der "Umvolkung" deutlicher: "Denn für die Ursachen von Flucht und Migration in aller Welt zeichnet sich eben jene jüdische Finanzelite verantwortlich." In der merkwürdigen Welt des Autos ist der Islam eine Erfindung des Judentums, um sich ein Sklavenvolk zu halten, dass nun nach Europa geschickt wird, um die hiesige Kultur zu zerstören.  

 

Auszug aus einer Lesermail 

 

Oder steckt doch Satan persönlich hinter allem?

Die Hymne zum "großen Austausch" singt die französische Frauen-Band "Les Brigandes". Ins Leben gerufen wurde diese rechtsextreme Girl-Band von Joël Labruyère, dem geistigen Oberhaupt dieser sektenartigen Gemeinschaft. In einem Interview mit einem Arte-Reporter sprach Labruyère von einer satanisch-amerikanischen Weltverschwörung die hinter der "Umvolkung” stecke.

 

Die sogenannte “Neue Rechte” versucht sich als intellektuelle Speerspitze und Avantgarde zu verkaufen, schaut man sich ihre Theorien dabei genauer an, wird schnell klar, dass man es am Ende eben doch nur mit dem immer gleichen Antisemitismus und Rassismus zu tun hat und die Unterschiede zur “alten Rechten” minimal ausfallen.  

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Was ist die Zukunft der Erinnerung?

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AAS

Der November ist mehr als nur ein Monat, er ist Ort und Zeit des Erinnerns. Mir geht es jedenfalls immer so: Mit der nassen Kälte kommt auch die Schwere dessen, was uns bis heute beschäftigt - die Pogromnacht von 1938 und zu welchen entsetzlichen Verheerungen in der ganzen Welt sie schließlich führte. Die Zeit verwandelt Gegenwart in Vergangenheit und die Erinnerung wird ferne Geschichte. Und zwar in dem Moment, wenn sich niemand mehr erinnern kann. Wird dann, wenn es soweit ist, die Vergangenheit neu verhandelt?

Von Anetta Kahane

Verschiedene Gruppen beginnen bereits, an den Wahrheiten dieser Geschichte herumzuzerren. Deutschland solle sich doch frei machen von der Bürde des Holocaust und wieder stolz sein auf seine Soldaten. Es solle die Juden nun nicht mehr schonen - als wäre das jemals geschehen - und Israel aus der Staatsräson streichen. Das deutsche Volk solle, auf seinem angestammten Platze, Ehre und Gesinnung gegen die multikulturelle Unart verteidigen. Sonst drohe Überfremdung, der Volkstod und die Umvolkung im Auftrag fremder Mächte, hinter denen immer die Juden stehen. Deshalb müssten die Volksverräter zur Strecke gebracht werden.

Während nach der Wahl zum Bundestag nun alle Welt darüber diskutiert, ob man, wann man und wie man mit der Neuen Rechten reden soll, freut die sich über die kostenlose Werbung, die das für sie bedeutet. Während sie sich die Hände reibt über so wenig Abgrenzung und Vernunft, werden die Veranstaltungen zum 9. November selbst von der extremen Rechten gestört, ist nur noch das höhnische Gelächter zu hören, wenn sie in die fassungslosen Gesichter jener schauen, die am Erinnern festhalten wollen.

Es ist dieses Lachen, das eigentlich alles ausdrückt. Häme und Verrohung, Hass und Selbstüberhöhung aus niedrigsten Instinkten. Verachtung von allem Menschlichen - das bedeutet dieses Gelächter. Heute wie damals. Das Vergnügen daran, jüdische Männer an den Bärten durch die Straßen zu schleifen, jüdische Frauen blutig zu schlagen und alle zu demütigen, die ihnen helfen wollten, kam aus der gleichen Quelle und hatte den gleichen Klang wie jenes höhnische Lachen heute. Nein, wir stehen vor keiner neuen Nazizeit. Und nein, die Neue Rechte ist längst nicht soweit, mit den Tätern von damals verglichen zu werden. Das Lachen ist dennoch dasselbe.

Die Aktionswochen gegen Antisemitismus nehmen diesen November zum Anlass, um über die Zukunft der Erinnerung nachzudenken. Nur wenn die Grausamkeit des Judenmordes erinnert und die Abscheu darüber verinnerlicht wird, kann es uns nicht egal sein, wie der Antisemitismus auch heute funktioniert und wozu er führt. Antisemitismus ist so sehr Teil einer antimodernen Selbstgefälligkeit geworden, dass eigentlich egal ist, wer ihn ausdrückt. Im Grunde kommt dieser Antisemitismus heute wieder auf seinen Ursprung zurück. Er braucht keine Umwege mehr. Er muss sich nicht religiös verkleiden, braucht dafür weder Luther, den Papst noch Suren im Koran. Er braucht nicht Israel zu dämonisieren und muss keine Bekenntnisse darüber ablegen, wie wichtig und toll einst die jetzt toten Juden waren. Der Antisemitismus heute ist wieder unverhüllt, er generiert sich neu als die Mutter aller Verschwörungstheorien über das Böse in der Welt.

Die Amadeu Antonio Stiftung wird deshalb weiter daran arbeiten, dass die Erinnerung bleibt, auch wenn die Menschen dieser Generation verschwinden. Erinnern heißt leben, so sagt man im Judentum. Denn was wären, gerade heute in einem sich verändernden Land, menschliche Wärme, gegenseitiger Schutz und die Achtung voreinander sonst, als gelebte und lebendige Erinnerung? Das Lachen der Täter muss als das verstanden werden, was es sein soll: Eine eiskalte Warnung, die wir ernst nehmen müssen.

Der November ist mehr als nur ein Monat, er ist Ort und Zeit des Erinnerns. Mir geht es jedenfalls immer so: Mit der nassen Kälte kommt auch die Schwere dessen, was uns bis heute beschäftigt - die Pogromnacht von 1938 und zu welchen entsetzlichen Verheerungen in der ganzen Welt sie schließlich führte. Die Zeit verwandelt Gegenwart in Vergangenheit und die Erinnerung wird ferne Geschichte. Und zwar in dem Moment, wenn sich niemand mehr erinnern kann. Wird dann, wenn es soweit ist, die Vergangenheit neu verhandelt?

Verschiedene Gruppen beginnen bereits, an den Wahrheiten dieser Geschichte herumzuzerren. Deutschland solle sich doch frei machen von der Bürde des Holocaust und wieder stolz sein auf seine Soldaten. Es solle die Juden nun nicht mehr schonen - als wäre das jemals geschehen - und Israel aus der Staatsräson streichen. Das deutsche Volk solle, auf seinem angestammten Platze, Ehre und Gesinnung gegen die multikulturelle Unart verteidigen. Sonst drohe Überfremdung, der Volkstod und die Umvolkung im Auftrag fremder Mächte, hinter denen immer die Juden stehen. Deshalb müssten die Volksverräter zur Strecke gebracht werden.

Während nach der Wahl zum Bundestag nun alle Welt darüber diskutiert, ob man, wann man und wie man mit der Neuen Rechten reden soll, freut die sich über die kostenlose Werbung, die das für sie bedeutet. Während sie sich die Hände reibt über so wenig Abgrenzung und Vernunft, werden die Veranstaltungen zum 9. November selbst von der extremen Rechten gestört, ist nur noch das höhnische Gelächter zu hören, wenn sie in die fassungslosen Gesichter jener schauen, die am Erinnern festhalten wollen.

Es ist dieses Lachen, das eigentlich alles ausdrückt. Häme und Verrohung, Hass und Selbstüberhöhung aus niedrigsten Instinkten. Verachtung von allem Menschlichen - das bedeutet dieses Gelächter. Heute wie damals. Das Vergnügen daran, jüdische Männer an den Bärten durch die Straßen zu schleifen, jüdische Frauen blutig zu schlagen und alle zu demütigen, die ihnen helfen wollten, kam aus der gleichen Quelle und hatte den gleichen Klang wie jenes höhnische Lachen heute. Nein, wir stehen vor keiner neuen Nazizeit. Und nein, die Neue Rechte ist längst nicht soweit, mit den Tätern von damals verglichen zu werden. Das Lachen ist dennoch dasselbe.

Die Aktionswochen gegen Antisemitismus nehmen diesen November zum Anlass, um über die Zukunft der Erinnerung nachzudenken. Nur wenn die Grausamkeit des Judenmordes erinnert und die Abscheu darüber verinnerlicht wird, kann es uns nicht egal sein, wie der Antisemitismus auch heute funktioniert und wozu er führt. Antisemitismus ist so sehr Teil einer antimodernen Selbstgefälligkeit geworden, dass eigentlich egal ist, wer ihn ausdrückt. Im Grunde kommt dieser Antisemitismus heute wieder auf seinen Ursprung zurück. Er braucht keine Umwege mehr. Er muss sich nicht religiös verkleiden, braucht dafür weder Luther, den Papst noch Suren im Koran. Er braucht nicht Israel zu dämonisieren und muss keine Bekenntnisse darüber ablegen, wie wichtig und toll einst die jetzt toten Juden waren. Der Antisemitismus heute ist wieder unverhüllt, er generiert sich neu als die Mutter aller Verschwörungstheorien über das Böse in der Welt.

Die Amadeu Antonio Stiftung wird deshalb weiter daran arbeiten, dass die Erinnerung bleibt, auch wenn die Menschen dieser Generation verschwinden. Erinnern heißt leben, so sagt man im Judentum. Denn was wären, gerade heute in einem sich verändernden Land, menschliche Wärme, gegenseitiger Schutz und die Achtung voreinander sonst, als gelebte und lebendige Erinnerung? Das Lachen der Täter muss als das verstanden werden, was es sein soll: Eine eiskalte Warnung, die wir ernst nehmen müssen.

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Rezension: Mit Rechten reden

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Weil für Demokratie Engagierte im Alltag öfter „mit Rechten reden“ müssen, als ihnen manchmal lieb ist, kann jede Überlegung zum Thema, wie die Gesellschaft sich sinnvoll mit Rechtspopulist_innen auseinandersetzen kann, hilfreich sein. Historiker und Autor Per Leo, Jurist und Journalist Maximilian Steinbeis und Philosoph und Sachbuchautor Daniel-Pascal Zorn haben einen „Leitfaden“ (so der Untertitel) zum Thema verfasst. Er ist allerdings nicht wirklich hilfreich und will es vielleicht auch gar nicht sein.

Von Simone Rafael

Das Buch „Mit Rechten reden. Ein Leitfaden“ ist verwirrend. Vielleicht hat es einen falschen Titel bekommen. Denn die Autoren – Historiker und Autor Per Leo, Jurist und Journalist Maximilian Steinbeis und Philosoph und Sachbuchautor Daniel-Pascal Zorn – betonen immer wieder, dass sie wirklich KEINEN Leitfaden schreiben wollen, keine Anleitung, wie das denn gehen soll, mit Rechten zu reden, nur Überlegungen zum Thema, Angebote, Theorien. Trotzdem gibt es im ersten Kapitel 25 Punkte beziehungsweise „25 goldene Regeln, die sich (…) durch das Reden mit Rechten für das Leben gewinnen lassen“, mit wenigen Schlagwörtern. Manche von ihnen sind beim ersten Durchlesen wenig schlüssig, so wie „Bedenke, dass Idioten oft gute Tänzer sind.“ Andere klingen banal, wie „Rechthaben ist keine Tugend.“  Aber gut, zu diesem Zeitpunkt hat der Leser oder die Leserin noch rund 170 Seiten vor sich, und deshalb liegt die Vermutung nahe, dass sich die Liste später erschließt. Auf viele der Punkte kommt das Buch allerdings später nicht zurück.

Eine Idee, die Kommunikation ermöglicht, ist es, wertschätzend und nicht verächtlich in Debatten hineinzugehen. Diese Idee verfolgen die Autoren im Umgang mit ihren Leser_innen nicht. Sie entscheiden sich stattdessen für das Prinzip des  Austeilens in alle Richtungen, wobei sie zwar betonen, lieber mit Linken als mit Rechten trinken zu gehen, aber kommunikativ und gedanklich läuft nach der Beschreibung der Autoren in beiden „Lagern“ alles Mögliche falsch, was im Fortgang des Buches mal philosophisch-theoretisch, mal literarisch verhandelt wird .

Sich selbst verorten die Autoren dabei außerhalb, sozusagen über den Dingen schwebend – keine unpraktische Perspektive. Allerdings geht es Ihnen nicht um Überparteilichkeit, was interessant gewesen wäre, sondern ist  nur der Anlass, über alles Hohn zu ergießen, was nicht ihre eigene Meinung ist. Am liebsten mokieren sie sich über „linke“ Menschen mit Prinzipien, Werten, Moral, die auch hier die „Gutmenschen“ sind. Denn die machen in den Augen der Autoren nichts richtig mit ihren Rufen, hasserfüllten Meinungen möglichst wenig Öffentlichkeit zu geben, um  nicht rechtsextreme Akteure die Grenzen des Sagbaren verschieben zu lassen.

Stattdessen, soweit stimmt der Buchtitel dann doch, möchten die Autoren reden, argumentieren, um genau zu sein, und zwar über alles. Sie hängen dabei an der Idee des begründeten Arguments. Man müsse selbst inhaltlich fit sein und gut begründen, und dann „die Rechten“, die zwar Dinge behaupten, aber höchstens mit „Is eben so“ begründen, argumentativ dazu zwingen, ihre Setzungen auch zu begründen. Und dann, dann könne Erkenntnis dräuen, bei den „Rechten“ vielleicht, vielleicht auch bei ihren „nicht-rechten“ Gesprächspartner_innen. Das ist eine Perspektive, die voraussetzt, dass beide Seiten nicht nur an einem Schlagabtausch, sondern an einem Gedankenaustausch interessiert wären. Und hier wird die Frage interessant, wen die Autoren als Zielgruppe ihrer Gespräche ansehen, denn der Begriff „Rechte“ ist ja nun auch sehr unscharf. Meinen Sie Onkel Rolf am Familientisch, die Arbeitskollegin, die rassistische Witze reißt, „besorgte Bürger“ in der Debatte ums Flüchtlingsheim, die man in einer ruhigen Minute zur Seite nehmen kann, um ins Gespräch zu kommen? Nein, die Beispiele, die im Buch erwähnt werden, sind eher Götz Kubitschek oder Ellen Kositza, oder die „Identitären“, also Teile des Rechtsextremismus, die sich selbst als „Neue Rechte“ bezeichnen und als intellektuell anmutende Vordenker_innen verstehen. Es ist also ein Plädoyer, mit Rechtsextremen zu reden. Leider führen die Autoren nicht aus, wo da ihre Grenzen wären, was diskutabel ist. Im Buch schreiben sie darüber, mit den Rechtsextremen zu reden über Flüchtlinge, über Widerstand, über „das Volk“, über Redefreiheit, über Ungleichheit, über den Islam, über den Nationalsozialismus. In den Gespräche, die sie sich dann vorstellen, sind sie lässig und sehr überzeugend. Sie wollen den Rechtsextremen zeigen, dass sie unlogisch argumentieren. Warum das ein sinnvoller Ansatz sein sollte, seine Lebensenergie einzusetzen, verraten sie nicht. Wer öfter oder ab und zu mit Rechtspopulist_innen oder Rechtsextremen diskutiert, könnte da auch eine andere Wahrnehmung einbringen: Dass es denen gar nicht um den Austausch von Argumenten geht, sondern darum, ihre Ideologie als Propaganda breitestmöglich zu streuen, sich durch möglichst angesehene oder prominente Gesprächspartner_innen und Gesprächsorte zu legitimieren – und dass geht in ihren Kreise auch dann, wenn sie sich inhaltlich blamieren. Von dem Umschlagen eines Gesprächs in verbale Gewalt, Bedrohung oder wenn möglich, körperliche Gewalt ist da noch gar nicht die Rede. In der Sicht der Autoren ist dies vermutlich aber auch die Schuld der nicht-rechten Gesprächspartner, die dann mit zu viel Moral kommen. Zu den Widersprüchen des Buches gehört auch, dass die Autoren anfangs sagen, ihr Buch sei kein Imperativ, es ginge also nicht um die Aufforderung, mit Rechten zu reden – und im letzten Kapitel erträumen sie sich genau das: Mit rechtsextremen Intellektuellen reden auf Augenhöhe. Der rechtsextremen Seite, etwa dem „Neue Sezession“-Autor Martin Lichtmesz, gefällt das, wie er auf Twitter schreibt.  Kein Wunder, denn es ist ja erklärte Strategie der „Neuen Rechten“, ihre Themen in die Gesellschaft zu tragen, gerade auch im Bereich der Kunst und Sprache. Gemeinsame Veranstaltungen sind bisher allerdings nicht bekannt.

Kurzum: Es gibt außerdem im Buch noch einige mehr oder weniger ausschweifende literarische Passagen und eine Sprachspiel-Theorie mit Pendeln und Kreisen, aber ansonsten läuft sein Ratschlag hinaus auf: Wir werden schon die besseren Argumente haben und die Demokratie wird das aushalten. Beruhigend, dass das nur eine von vielen Meinungen im Diskurs zum Thema ist.

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Konservative Revolution: Übernimmt Dobrindt einen Begriff der "Neuen Rechten"?

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Alexander Dobrindt meint: „Wir brauchen eine bürgerlich-konservative Wende“
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dpa

Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, fordert in einem Zeitungsbeitrag eine "konservative Revolution". Damit verwendet er einen Begriff, der für intellektuelle Rechtsextreme so prägend ist wie kaum ein anderer.

 

Von Kira Ayyadi

 

In einem Gastbeitrag in der Welt (04.01.2018) hat Alexander Dobrindt sieben Thesen zu Deutschland veröffentlicht. Es geht um “Christlichen Glauben”, “Der Einzelne und die Familie”, “Heimat und Vaterland”, “Europa und Abendland”, “Freiheit”, “Sicherheit” und “Wohlstandsaufbruch”. Aus seinem Hauptkredo, in Deutschland herrsche eine linke Hegemonie, leitet Dobrindt ab, dass es nun einer „bürgerlich-konservativen Wende“ bedürfe.

 

Revolution von der Regierungsbank

Trotz jahrzehntelanger Regierungsbeteiligung der CSU behauptet Dobrindt, „linke Aktivisten“ seien seit 1968 zu „Meinungsverkündern, selbst ernannten Volkserziehern und lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit“ geworden. Daher ruft er nun zur “konservativen Revolution” auf:

 

„Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger. Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik.“

 

Konservative Revolution: Wo kommt der Begriff her?

Der Begriff, den Dobrindt zu setzen versucht, ist der der Konservativen Revolution. Dieser Begriff ist allerdings nicht neu. Besonders beliebt war er in den 1920-1930er  Jahren. Da nutzen Intellektuelle den Begriff der “Konservativen Revolution” für ihre Ideen, auf denen schließlich der Nationalsozialismus fusste. Seit den 1960er Jahren ist der Begriff der “Konservativen Revolution” deshalb ein Schlüsselbegriff der rechtsextremen Strömung, die sich die “Neue Rechte” nennt und sich auf die Weimarer Konservative Revolution bezieht .

 

"Konservative Revolution" ist ein Schlüsselbegriff der neuen Rechten (Quelle: Screenshot)

 

Die Konservative Revolution in der Weimarer Republik

Die Konservativen Revolutionäre formierten sich nach dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches 1918/1919: Zum einen in Abgrenzung zu der als reaktionär verachteten Monarchie, zum anderen in Ablehnung der als anti-deutsch verhassten Demokratie. Den Versprechen der Französischen Revolution „Liberté, Egalité, Fraternité“ wurden die Hoffnungen auf alte-neue Werte entgegengestellt.

 

Die konservativ-revolutionären Intellektuellen (Carl Schmitt, Ernst Jünger, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Othmar Spann, Edgar Julius Jung, Hans Freyer, Ernst Niekisch, Martin Heidegger etc.) begriffen sich als geistige Avantgarde. Einige von ihnen gelten als Wegbereiter der Nationalsozialisten und profitierten später von der Zusammenarbeit mit ihnen.

 

Sie bekämpften die Grundprinzipien der Weimarer Verfassung, vor allem das demokratische, parlamentarische System, den politisch-gesellschaftlichen Pluralismus und Liberalismus sowie das Gleichheitsprinzip. Die Ideologie der konservativen Revolutionäre verband traditionell konservative mit klassisch-rechtsextremen Elementen. So unterschiedlich die rechten Vordenker auch waren, gemeinsam war der Wunsch nach einer militärisch formierten, hierarchisch strukturierten und autokratisch regierten Gesellschaft. Der angestrebte autoritäre oder diktatorische Staat sollte von einer „neuen Aristokratie“, von einer kleinen Elite oder einem Führer geleitet werden. Wie das geendet ist, können wir heute in unseren Geschichtsbüchern nachlesen.

 

Die Neue Rechte und die Konservative Revolution

In jüngerer Zeit galt einigen sich intellektuell gebenden Rechtsextremen die nationalistische „Alte Rechte“ im Nachkriegseuropa ebenso wie der Nationalsozialismus als überholt. Als Gegenmodell zur linken Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre entwickelten sie eine neue Bewegung, die “Neue Rechte”.

 

Ihre rechtsextremen Akteur_innen greifen auf die autoritären und elitären Denkschulen der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik zurück. Als wichtiger Akteur ist hier Armin Mohler zu nennen. Für das ganze Milieu der “Neuen Rechten” kann Mohler als geistiger Vater gesehen werden. Seine Mission war die Reorganisation des rechten Lagers nach der deutschen Kriegsniederlage. Zur Rettung der extremen Rechten konstruierte er eine eigene Strömung, die er in einen scharfen Gegensatz zum Nationalsozialismus rückte: die “Konservative Revolution”. Der neurechte Tonangeber Götz Kubitschek zählt zu Mohlers letzten Schülern und hielt 2003 auch die Grabrede.

 

Ziel der “Konservativen Revolution” ist die Deutungshoheit in Sprache und Kultur, um eine Rückkehr zu vermeintlich konservativen Werten herbeizuführen.

 

Das hat aber nichts mit  Dobrindts “Konservativer Revolution” zu tun - oder?

An einer Stelle seines Gastbeitrags schreibt Dobrindt, Linke hätten sich "Schlüsselpositionen" in Kunst, Kultur, Medien und Politik gesichert. Dieser Sprachgebrauch erinnert stark an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Mit der Förderung einer völkischen Ideologie und der Propagierung von Hass gegen alles Liberale und Fremde hat sich die Führung um Orbán laut ihren Kritikern längst schon in die Nähe der internationalen “Neuen Rechten” und von deren extremeren Auswüchsen gerückt. Dieser autoritär regierende europäische Staatschef ist am Freitag Gast bei der Winterklausur der CSU-Landesgruppe im oberbayerischen Kloster Seeon.

 

Die CSU, Orban und die Neue Rechte

Eine weitere Möglichkeit, mit ungarischen Politiker_innen und Akteur_innen der “Neuen Rechten” über die “Konservative Revolution” zu sprechen und zu planen, bekäme Dobrindt vom 23. bis zum 25. Januar 2018. Dann nämlich lädt die ungarische „Öffentliche Stiftung für mittel- und osteuropäische Geschichts- und Gesellschaftsstudien“ in Budapest zu „Die Konferenz Europas“ ein. Die Führung der Stiftung ist von der Regierung eingesetzt, von der sie auch die Mittel erhält.

 

Einer der Redner wird neben dem ehemaligen “Breitbart”-Redakteur Milo Yiannopoulos der neurechte Rechtsextreme Götz Kubitschek, sein. Auf seinem Hauseigenen Blog „Sezession“ hat er unter anderem einen Text veröffentlicht mit dem Titel „Die Stahlkraft der Konservativen Revolution“. Dort heißt es:

 

„Die sogenannte Konservative Revolution von 1918 bis 1932 hat bis heute ihre Strahlkraft auch deshalb nicht verloren, weil sie in ihren Hauptvertretern radikal und kompromißlos war, so ganz und gar bereit für etwas Neues, einen Dritten Weg, einen Umsturz, eine Reconquista, einen revolutionären, deutschen Gang in die Moderne.“

 

 

Die CSU auf AfD-Wähler-Fang?

Angesicht der anstehenden bayerischen Landtagswahl im Herbst diesen Jahres und der Angst der CSU vor Stimmenverlusten an die AfD  hat  Dobrindt womöglich den Eindruck, zündeln mit Rechtsaußen-Begriffen könne der CSU hilfreich sein. Doch es ist gefährlich, denn hier wird ein rechtsextremes Narrativ legitimiert, wenn es von einem Vertreter einer als demokratisch wahrgenommenen konservativen Partei geäußert wird. Damit erhalten eben auch Vertreter_innen der rechtsextremen “Neuen Rechten” eine Aufwertung.

 

Einige ausgewählte und unkommentierte Passagen aus dem Dobrindt-Text:

  • „Linke wollen diese Welt tendenziell ideologisch in Gender-Welten umdefinieren, kollektivieren und Staatsinstitutionen familiäre Kompetenzen zuweisen.“
  • „Heimat und Vaterland sind Wurzeln unserer Identität. Wir lieben unsere bayerische Heimat, wir sind deutsche Patrioten. Linke haben seit 1968 Heimat diffamiert als einen angeblich reaktionären Ort der Engstirnigkeit. Wir schützen unsere Heimat.“
  • „Deshalb wenden wir uns gegen all diejenigen, die sich als „Antipatrioten“ bezeichnen, die das Schwenken von Deutschlandfahnen verbieten wollen, die Trachten und Brauchtum verunglimpfen und die die Existenz der deutschen Kultur infrage stellen.“
  • „Links-grüne Ideologien haben dazu geführt, dass unsere Gesellschaft einen schleichenden Freiheitsverlust erleidet, dass unser Staat zusehends zur Bevormundung neigt.“
  • „Jeder Art von Kriminalität sagen wir entschlossen den Kampf an – egal, aus welcher Richtung sie kommt. Rechtsextreme, die gegen Ausländer hetzen, linksextreme Hausbesetzer und Steineschmeißer, islamistische Terroristen oder osteuropäische Einbrecherbanden – sie alle gehören gefasst, verurteilt und bestraft.“
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Leiter des Instituts für Staatspolitik ist jetzt Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten

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v.l..: Götz Kubitschek, Erik Lehnert und Björn Höcke auf der Frankfurter Buchmesse 2017
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Die Neue Rechte ist im Bundestag angekommen: Wie die „taz“ am Donnerstag berichtet, ist der Geschäftsführer des „Instituts für Staatspolitik“, Erik Lehnert, als Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Harald Weyel beschäftigt. Ist die konservative Revolution bereits im vollen Gang?

 

Von Kira Ayyadi

 

Für die AfD Nordrhein-Westfalen kandidierte Weyel auf Listenplatz drei für die Wahl zum deutschen Bundestag. Als Sohn eines schwarzen US-Soldaten ist Harald Weyel der einzige farbige Bundespolitiker der AfD. Aber dass er schwarz sei, oder gar afrodeutsch würde der 58-jährige Wirtschaftsprofessor wohl nie über sich sagen. Stattdessen nennt Harald Weyel sich einen „preußisch-hessischen Nationalkosmopoliten“. 

 

„Institut für Staatspolitik“ als Kaderschmiede der Neuen Rechten

Nun beschäftigt dieser bisher eher unauffällige AfD-Bundestagsabgeordnete den Geschäftsführer des „Institut für Staatspolitik“ (IfS), Erik Lehnert.

Das IfS  wurde in den letzten Jahren zur maßgeblichen Institution der Neuen Rechten. Zunächst agierte das „Institut für Staatspolitik“ vor allem fernab der Öffentlichkeit. Nach und nach drängte es im Zuge der rassistischen Mobilisierung jedoch zunehmend auf die politische Bühne. Götz Kubitschek hat die Führung des Instituts im September 2008 Erik Lehnert anvertraut, der bereits seit einigen Jahren als Autor der „Sezession“ präsent war und mit Kubitschek und dessen Frau Ellen Kositza den Kern der neurechten Kaderschmiede bildet.

Das von Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann 2000 gegründete Institut veranstaltet jährlich jeweils eine sogenannte Sommer- und Winterakademie. Die Akademien stehen unter einem Leitthema zu dem verschiedene rechte Referent_innen sprechen. An den Akademien nehmen ausgesuchte Personen teil. Auf den Tagungen des IfS und in Broschüren bezieht man sich auf antidemokratische Ideologien, insbesondere auf die „Konservativen Revolution“, deren staatsphilosophische Erklärungsmuster die Neue Rechte weiter entwickeln will.

 

Erik Lehnert als moderner Vertreter der Konservativen Revolution

Ziel der „Konservativen Revolution“ ist die Deutungshoheit in Sprache und Kultur. Dieser wichtige Begriff der Neuen Rechnten bezieht sich auf konservativ-revolutionäre Intellektuelle aus der Weimarer Republik. Einige von ihnen gelten als Wegbereiter der Nationalsozialisten und profitierten später von der Zusammenarbeit mit ihnen.

Mit der Schriftenreihe „Staatspolitisches Handbuch“ aus dem Kubitschek-Verlag „Antaios“ sollen Leser_innen an die Vordenker der „Konservativen Revolution“ herangeführt werden. Vier der fünf Bände wurden von Lehnert verfasst.    

 

Stiefsohn des Vordenkers der Grünen: Rudolf Bahro

Ein interessantes Detail in Lehnerts Biografie ist, dass der DDR-Dissident und Sozialwissenschaftler Rudolf Bahro sein Stiefvater ist. Offenbar fungiert Lehnert nach dem Tod des Vordenkers der westdeutschen Grünen als eine Art Verwalter für einen Teil des Nachlasses. In dem von Kubitschek und seiner Frau Ellen Kositza herausgegeben Gesprächsband „Tristesse Droite“ erzählt Lehnert, dass der spätere Grünen-Politiker Bahro sehr von Ernst Jünger angetan gewesen sein soll. Über Bahro habe er zu den Autoren der „Konservativen Revolution“ gefunden.

Mit Erik Lehnert konnte das rassistische Netzwerk der Neuen Rechten nun eine zentrale Figur als Mitarbeiter im Bundestag unterbringen. Dabei ist Harald Weyel nicht der erste Politiker der offene Verbindungen zum IfS hat. So traten beispielsweise die AfD-Landtagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider und Jan Wenzel Schmidt bei der Winterakademie 2017 des IfS in Schnellroda auf. Mit auf dem Podium saß auch Martin Sellner, Kopf der deutschsprachigen „Identitären Bewegung“.

Die Neue Rechte trägt einen großen Teil zum aktuellen Rechtsruck unserer Gesellschaft bei, auch weil sie so gut vernetzt ist. Um Kubitschek gibt es eine Infrastruktur, die der Neuen Rechten essenzielle Möglichkeiten zur Veröffentlichung und Weiterbildung bietet. Dass sie nun mit Erik Lehnert eine zentrale Figur als Mitarbeiter im Bundestag haben, ist eine gefährliche Entwicklung. 

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Alexander Dugin in Wien: Wer ist der rechtsradikale Guru?

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Alexander Dugin bei einer prorussischen Demonrtation zum Donbass
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(c) dpa

Der russische Politguru Alexander Dugin soll am 25. und 26. Januar in Wien auftreten. In seinen Büchern und Vorträgen vertritt er eine autoritäre und radikal antiliberale Ideologie. Westliche Medien bezeichneten den bärtigen Russen zeitweise als „Einflüsterer“ oder gar „Chefideologen“ Putins. Das mag zwar stark übertrieben sein, doch Dugin gehört ohne Zweifel zu den Vordenkern der weltweiten Neuen Rechten.

Von Christoph M. Kluge

Das Wiener Event soll laut Veranstalter einen öffentlichen Vortrag, eine Pressekonferenz und eine Diskussion „im kleineren Rahmen“ umfassen. Organisiert wird es vom FPÖ-nahen Blogger Thomas Bachheimer. Der gelernte Bankkaufmann schürt auf seiner Website bachheimer.com Ängste vor einer neuen Finanzkrise und Hass auf Muslime. Zusätzliche Brisanz erhält die Ankündigung durch ihren Termin. Denn am 26. Januar findet in der Wiener Hofburg der umstrittene „Akademikerball“ der FPÖ statt. Bei dieser Tanzveranstaltung treffen alljährlich Burschenschafter aus schlagenden Verbindungen mit Rechtsextremen aus ganz Europa zusammen. Dagegen demonstrieren linke und antirassistische Gruppen. In diesem Jahr erwartet die Polizei massive Proteste, die sich indirekt auch gegen die neue türkis-blaue Regierung richten könnten. Diese spannungsreiche Situation wäre die perfekte Bühne für einen Provokateur wie Alexander Dugin.

Schwarze Magie in Breschnews Reich

Die späte Sowjetunion hatte einige seltsame Seiten. Dazu gehörten verschiedene Subkulturen, die sich im Geheimen austauschten. Der Fantasy-Autor Juri Mamleew beispielsweise hatte in Moskau einen konspirativen Kreis von rechtsradikalen Esoterikern um sich versammelt. 1975 zwangen die staatlichen Behörden Mamleew, ins Exil zu gehen. Doch dessen Anhänger trafen weiterhin regelmäßig in seiner Wohnung zusammen. Dort diskutierten sie über Themen wie schwarze Magie oder Okkultismus, und tranken dabei heftig. Die Gruppe nannte sich selbst „Schwarzer Orden der SS“. Einer ihrer Angehörigen war Alexander Dugin.

Vermutlich war Dugins Vater Offizier beim Militärgeheimdienst GRU, Groß- und Urgroßvater waren ebenfalls Offiziere. Er selbst hatte die höhere Schule mit mittelmäßigen Noten abgeschlossen und eine Ausbildung am Moskauer Staatlichen Luftfahrtinstitut abgebrochen. Einer Legende zufolge wurde er wegen antikommunistischer Aktivitäten exmatrikuliert. Doch diese Geschichte scheint er selbst erfunden zu haben. Auf jeden Fall übersetzte Dugin rechtsesoterische Bücher wie „Heidnischer Imperialismus“ von Julius Evola ins Russische und machte sich so einen Namen in der Szene.

Ende der 1980er wurden die Zensurbestimmungen im Rahmen der Perestroika-Politik gelockert. Damit schlug auch die Stunde der selbsternannten Welterklärer und ihrer schrägen Ideen. In verschiedensten Zirkeln wurde gestritten, welche Weltanschauung den Kommunismus beerben könnte. Auch Rechtsradikale traten nun offen auf und niemand hinderte sie daran. 1989 unternahm Alexander Dugin eine Reise durch Westeuropa. Dort traf er mit führenden Vertretern der Neuen Rechten zusammen wie Alain de Benoist, Jean-Francois Thiriart und Claudio Mutti.

Jahre des Umbruchs

Am 19. August 1991 rollten Panzer durch Moskaus Straßen. Mit einem Putsch wollte eine Handvoll alter Funktionäre die Reformen der Gorbatschow-Ära beenden und die frühere Ordnung wiederherstellen. Doch der Plan ging gründlich schief. Die Putschisten beschleunigten den Untergang der UdSSR sogar. Das plötzliche Ende wurde allerdings von vielen Vertretern der Elite nicht als Zusammenbruch eines maroden Systems verstanden, sondern als Werk finsterer Mächte. Düstere Verschwörungstheorien hatten Hochkonjunktur.

Dugin schrieb ab 1991 als Redakteur für eine kleine Zeitschrift namens „Den“ (dt. Der Tag), die sich später in „Sawtra“ (Der Morgen) umbenannte und zu einer der einflussreichsten Publikationen der russischen Rechten aufstieg. Wahrscheinlich war es deren Chefredakteur Alexander Prochanow, ein ehemaliger Kriegsreporter, der Dugin in dieser Zeit mit führenden Vertretern der Kommunistischen Partei zusammenbrachte. Ehemalige Dissidenten und degradierte Apparatschiks entdeckten Gemeinsamkeiten: Gleichermaßen lehnten sie den Zerfall des sowjetischen Imperiums ab. Und sie verachteten die Westorientierung Russlands unter Präsident Jelzin.

Im August 1992 empfing Dugin den belgischen Rechtsintellektuellen Jean-François Thiriart in Moskau und stellte ihn seinen neuen Freunden Gennadi Sjuganow und Jegor Ligatschow von der Kommunistischen Partei vor. In seinem eigenen Verlag brachte Dugin derweil neben diversen Büchern eine Zeitschrift namens „Elementy“ heraus. Dort erschienen Artikel von russischen Nationalisten ebenso wie Texte westlicher Rechtsradikaler. Bereits der Name deutet auf das Vorbild hin: Dugin arbeitete in dieser Zeit eng mit dem neurechten Magazin „Éléments“ des Franzosen Alain der Benoist zusammen.

Gemeinsam mit dem Schriftsteller Eduard Limonow gründete Dugin die „Nationalbolschewistische Partei“ (NBP). Diese Gruppierung unternahm den Versuch, den Nationalsozialismus mit dem Kommunismus zu vereinen, orientierte sich aber auch an der deutschen „Konservativen Revolution“ der 1920er Jahre.  Die NBP war pure Provokation, ihre meist sehr jungen Anhänger gehörten der großstädtischen Subkultur an. Für Dugin blieb der Nationalbolschewismus allerdings nur eine vorübergehende Phase, denn er wollte in das politische Establishment aufsteigen.

Der "Neoeurasismus“: ein krudes Theoriegebäude

Deshalb bezog er sich schon bald nur noch selten positiv auf den Faschismus. Stattdessen propagierte er einen eher kryptischen „Neoeurasismus“. Diese antiwestliche Weltanschauung bezieht sich dem Namen nach auf eine Gruppe russischer Exilanten der 1920er Jahre. Der historische Eurasismus der Zwischenkriegszeit lehnte die Sowjetunion ab – und wollte sie durch ein anderes autoritär geführtes Imperium ersetzen. Vordenker wie Pjotr Sawizki oder Nikolai Trubezkoy träumten von einem russisch dominierten Großreich, das sich von Westeuropa abgrenzen und einen Sonderweg einschlagen sollte. Die Idee blieb ein Hirngespinst.

Dugin griff sie aber auf und ergänzte sie um Mystik-Elemente. In seiner „neoeurasischen“ Weltsicht stehen sich zwei unversöhnliche Pole gegenüber: Die „Landmächte“ seien der Tradition und dem Boden verpflichtet, behauptet Dugin. Zu ihnen gehörten die „Eurasier“, deren Wurzeln im mythischen Land Hyperborea lägen. Historisch seien sie von kriegerischen Kulturen wie Rom oder Sparta repräsentiert worden, heute stünde Russland an ihrer Spitze. Als Feinde der Eurasier sieht Dugin die „Atlantiker“, umher ziehende „Seemächte“ mit Ursprung in Atlantis. Phönizien und Karthago seien atlantische Mächte des Altertums gewesen, heute würden sie von den USA angeführt. 

Die „Atlantiker“ verbreiten dieser irren Lehre zufolge – kurz gefasst – Unordnung und Chaos in der Welt, während die „Eurasier“ für Stabilität und Eigenständigkeit stehen. Es wird aber noch schräger: Seit Jahrtausenden, behauptet Dugin, kämpfen okkulte Verschwörerorden auf beiden Seiten dieses Konflikts. Ausgerechnet in unserer Zeit steht nun der apokalyptische Endkampf zwischen den Mächten an. Beide Blöcke mobilisieren alle verfügbaren Kräfte. Russland muss sich erheben, eine nationale Wiedergeburt einleiten, die „Atlantiker“ vernichten und einen „Neuen Sozialismus“ auf der ganzen Welt errichten. Soweit die Theorie.

Dugins „Neoeurasismus“ ist vordergründig ein Sammelsurium schriller Ideen. Im Endeffekt handelt es sich jedoch um ein sehr einfaches Schwarz-Weiß-Schema – ein verschwörungsideologisches Weltbild, in dem das Gute und das Böse miteinander ringen. Alexander Dugin hat den Anspruch, eine Meta-Ideologie zu schaffen, in der sich alle möglichen politischen Strömungen wiederfinden können. Sie müssen nur vom Grundsatz her antidemokratisch und autoritär ausgerichtet sein. Sein Denken ist von den westlichen Denkern geprägt, deren Bücher Dugin schon während seiner Zeit in der sowjetischen Subkultur gelesen hat: Esoteriker wie Julius Evola, Jean Parvulesco, René Guénon oder Aleister Crowley, aber auch Karl Haushofer, Carl Schmitt oder Friedrich Nietzsche.

Friends in high places

Der gesellschaftliche Aufstieg gelang ihm. 1997 erschien die erste Auflage von Dugins Buch „Grundlagen der Geopolitik“. Darin behauptet der Autor, Russland sei dazu bestimmt, die Menschheit vom „Globalismus“ zu erlösen. Wissenschaftlich betreut wurde diese Arbeit von Generalleutnant Nikolaj Klotkotow, dem damaligen Inhaber des Lehrstuhls für Strategie an der Militärakademie des Generalstabs. Dort wurde es daraufhin als Lehrbuch in der Offiziersausbildung verwendet.

Im Jahr 2000 kam Putin an die Macht. In Tschetschenien wütete der Krieg. Unterdessen promovierte Alexander Dugin an einer Universität im Nordkaukasus, weit entfernt von seinem Wohnort Moskau. Über die dafür notwendigen Hochschulabschlüsse verfügte der Autodidakt zwar nicht. Doch Mitarbeiter des Moskauer Philosophieprofessoren Alexander Panarin überwachten das Verfahren, auch bei der Habilitation vier Jahre später. Die Regeln wurden offenbar etwas gebogen. Der ehemals liberale Professor Panarin hatte sich in den Wirren der Jelzin-Ära der rechten Szene zugewandt. In seinen letzten Lebensjahren war er ein einflussreicher Förderer Dugins.

2008 erhielt Dugin einen Lehrstuhl an der traditionsreichen Lomonossow-Universität in Moskau. Den musste er 2014 allerdings wieder räumen. In einem Interview zum Konflikt in der Ukraine hatte er gefordert, man solle Unterstützer der Kiewer Regierung: „Töten, töten, töten!“ Er fügte hinzu: „Das ist meine Meinung als Professor.“ In einer Petition forderten daraufhin über 10.000 Menschen seine Entlassung und er verlor den Posten. Dennoch ist Dugin weiterhin als Figur des öffentlichen Lebens präsent. Er tritt im Fernsehen und im Internet auf, veröffentlicht Bücher und spricht auf Konferenzen.

„In Trump We Trust“

Seit Donald Trump der US-Politik seinen Stempel aufdrückt, ist Dugin vom pauschalen Amerikahass abgerückt. Bereits im Wahlkampf 2016 brachte er in einem YouTube-Video mit dem Titel „In Trump We Trust“ seine Unterstützung für den Republikaner zum Ausdruck. Trump stehe für das „wahre Amerika“, behauptet er nun. Das Feindbild sind abstrakte „globale Eliten“, nicht mehr „Seemächte“. Die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft für Dugin jetzt innerhalb des Westens. Auch die europäische Politik kommentiert er in diesem Sinne: Die rechtspopulistischen Bewegungen sieht er als Befreiung von „der globalistischen Sekte“.

In den mystischen Ideen Dugins mischen sich Größenwahn und Weltmachtträumereien mit bizarren Gewaltfantasien. Hinzu kommen geopolitische Vorstellungen von konservativen Denkern wie Karl Haushofer oder Carl Schmitt. Diese Zutaten verrührt der „Neoeurasier“ zu einem esoterischen Brei. Seine Schlussfolgerungen sind haarsträubend, mit Prophezeiungen liegt er immer wieder falsch. Aber die Anhänger des Politgurus stört das nicht, denn sie erwarten von ihm keine rationale Erklärung des Weltgeschehens, sondern lediglich eine bedeutungsschwangere Legitimation für ihre eigenen autoritären Ambitionen.

Weiterführende Links:

Andreas Umland: Post-Soviet „Uncivil Society“ and the Rise of Alexander Dugin

Leonid Luks: Eurasien aus neototalitärer Sicht

Anton Shekhovtsov: Putin's Brain

Samuel Salzborn: Messianischer Antiuniversalismus

 

Christoph M. Kluge ist Literaturwissenschaftler, Historiker sowie freier Journalist in Berlin und beobachtet die neurechte Szene. Mehr von Christoph auf seiner Website Leverage.  

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AfD-Distanz von rechts: Eine Aschermittwochsrede spaltet die Neue Rechte

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Poggenburg bei seiner Rede in Pirna.
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(c) dpa

André Poggenburg hat ein neues Betätigungsfeld für sich entdeckt. Er ist nicht mehr nur "erfolgreicher Unternehmer" und der Vorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, sondern auch noch Satiriker. So zumindest erklärt er seine skandalträchtige Rede vom politischen Aschermittwoch der ostdeutschen AfD-Landesverbände in Pirna. Poggenburgs Satire kommt allerdings nicht gut an. Sowohl Vertreter aus der AfD, als auch neurechte Medien kritisieren seinen Auftritt hart.

Von Stefan Lauer

Poggenburg hatte in Pirna die Mitglieder der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) als "Kümmelhändler" und "Kameltreiber" bezeichnet, die sich "hinter den Bosporus zu ihren Lehmhütten, Ziegen und vielen Weibern scheren" sollten. Die Türkische Gemeinde bereitet gerade eine Anzeige wegen Volksverhetzung vor. Eine weitere Anzeige wurde bereits von einer Privatperson gestellt.  Auch andere Politiker haben sich mittlerweile geäußert. Justizminister Heiko Maas (SPD) nennt Poggenburg einen Rassisten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier antwortet auf die Frage nach Poggenburgs Rede: "Was ich sehe, ist, dass es Politiker gibt, die Maßlosigkeit in der Sprache, Rücksichtslosigkeit und Hass in ihrer Haltung zu einer eigenen Strategie machen. Und ich hoffe nur, dass sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nicht vor diesen Karren spannen lassen."

 

 

Sachsens Ministerpräsident Micael Kretschmer (CDU) stellet fest, dass die AfD ihr "wirkliches Gesicht" zeige: "Das was da gesprochen wurde, war unanständig und beleidigend."

Aber die Kritik kommt nicht nur aus den Reihen der, von der AfD gern so bezeichneten "Altparteien". Auch einige der Rechtspopulisten können über Poggenburgs "Satire" nicht lachen. Zum Beispiel AfD Bundesvorstandsmitglied Steffen Königer: "Beim politischen Aschermittwoch ist es normal, dass man sich deftig äußert. Aber das ist nicht deftig, das ist Dummheit." Und auch AfD-Chef Jörg Meuthen findet, dass es am Aschermittwoch zwar oft etwas derber zugehe, "die Wortwahl André Poggenburgs geht dessen ungeachtet deutlich zu weit und hätte nicht vorkommen sollen."

Die Zeitung "Junge Freiheit", eines der Sprachrohre der Neuen Rechten und normalerweiser großer Fan der AfD, veröffentlicht unter der Überschrift "Gefährliches Rabaukentum" einen bemerkenswert kritischen Artikel. Poggenburgs Rede fehle es an "Respekt und Anstand": "Da mag der Stammtisch im sächsischen Nentmannsdorf noch so begeistert gewesen sein, mit diesem Politikstil bringt sich die AfD um ihre Mehrheitsfähigkeit, marschiert sie ins politische Aus. Oder in Richtung NPD (…)." Der Artikel mahnt: "Die Parteispitze kann über die Aschermittwochs-Ausfälle in Ostdeutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen."

Poggenburgs Hetzrede verärgert aber sogar noch weiter rechts. David Berger, Betreiber eines rechtspopulistischen Blogs, stellt mit Bezug auf Poggenburg und die AfD fest, "dass einige ihrer Politiker fähig sind, all das was an Sympathie und Vertrauen mühsam – und gegen eine gehässige Presse – aufgebaut wurde, mit wenigen Worten und Gesten zu zerstören." Bergers Text schließt gar mit einem Aufruf an die AfD, sich "von solchen Politikern [zu] befreien".

Martin Semlitsch, der unter dem Pseudonym "Martin Lichtmesz" auftritt und veröffentlicht und als einer der Köpfe hinter der rechtsextremen "Neuen Rechten" gilt, provoziert zwar im allgemeinen gerne. Poggenburgs Rede scheint aber selbst ihm zu zuviel des Guten zu sein.

Screenshot: Twitter

 

Sogar im Kommentarbereich der neurechten Zeitschrift "Sezession" regt sich Widerstand. Ein Kommentar unter einem eigentlich nicht im Zusammenhang stehenden Artikel von Ellen Kositza schreibt:

Screenshot aus dem Kommentarbereich von "sezession"

 

Am heutigen Freitag soll der AfD-Vorstand zusammentreten. Bundesvorstandsmitglied Steffen Königer hofft, laut einem Artikel in der Zeit, dass Poggenburgs Rede auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die Taktik der permanenten Provokation, die so gerne von der AfD benutzt wird, könnte für Poggenburg diesmal tatsächlich nach hinten losgehen.

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Wie die amerikanische Alt-Right die YouTube-Schützin für ihre Zwecke nutzt

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Einige User_innen posteten ein bearbeitetes Bild der Schützin auf dem Augen und Mund mit dem Namen eines Hashtags verdeckt sind und betitelten es "Die neue Ikone der freien Meinung"
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Screenshot Youtube

Eine Frau hat am Dienstag vor dem US-Firmensitz von YouTube um sich geschossen und sich dann selbst getötet. Die gebürtige Iranerin entspricht nicht dem klassischen Bild eines Amok-Schützen. Und so nutzt die rechte Blase die Täterin für ihre jeweils eigenen Zwecke. Mal wird die Schützin zur Märtyrerin der Redefreiheit gemacht, mal wird ihr abgesprochen eine Frau zu sein.

 

Von Kira Ayyadi

 

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (Deutsche Zeit) hat eine Frau am Firmensitz von YouTube im US-amerikanischen Silicon Valley um sich geschossen, drei Menschen verletzt und anschließend sich selbst erschossen.

Schnell wurde bekannt, die im Iran geborene Nasim Aghdam, selbst YouTuberin, war wütend auf die Internetplattform. Die homophobe US-Amerikanerin hatte persische Wurzeln, war Tierschutzaktivistin,  und eine Frau – angesichts der brutalen Tat vielleicht nicht besonders relevante Details, wäre da nicht die überaus laute Alt-Right-Bewegung in den USA. Die legt je nach vorhandenem Vorurteil die Tat der eigenen Sache möglichst dienlich aus: Mal ist die Täterin eine Märtyrerin für Meinungsfreiheit, die dann aber von einigen belächelt wird, da sie es als Frau ja nicht mal schafft, ein ordentliches Massaker zu begehen, dann ist sie eine böse linke Aktivistin, Muslimin, in erster Linie Migrantin und für einige ist sie nicht mal eine “echte” Frau. Die verschiedenen Interpretationen werden stets so gelegt, dass sie ins eigene Weltbild passen.  

 

Was wir über die Motive der YouTube-Schützin wissen  

Die 39-jährige Aktivistin, Veganerin und Bodybuilderin war offenbar im Iran und in der Türkei ein Socialmedia-Star, mit zahlreichen Follower_innen auf ihrem Youtube-Kanal. Die Baha’i-Gläubige bemängelte, sie würde für ihre Videos nicht angemessen vergütet. Außerdem würden ihre Videos von der Internetplattform zensiert. YouTube habe ihr Leben zerstört, soll sie gesagt haben, da das Unternehmen nicht für ihre Inhalte gezahlt habe. Auf ihrer Webseite erhob sie weitere Vorwürfe: YouTube habe ihre freie Meinungsäußerung unterdrückt, etwa, indem sie Altersbegrenzungen vor ihre Videos geschaltet hätten.

Darauf folgt ein falsch und verkürzt wiedergegebenes Hitler-Zitat: „Mach aus der Lüge eine große, halte sie einfach und sag es immer wieder. Irgendwann werden sie es glauben.“ Tatsächlich gibt es eine Passage in Adolf Hitlers „Mein Kampf“, die so ähnlich klingt, allerdings wirft er diese Taktik dort Juden und Jüdinnen in Wien vor, statt sie auf sich zu beziehen. Weiter fabuliert Aghdam davon, dass es „keine Meinungsfreiheit“ in der „echten Welt“ gäbe und man „unterdrückt“ werde, wenn man „die Wahrheit ausspricht, die das System nicht unterstützt.“

 

Screenshot von Aghdams Webseite 

 

Vergangenes Jahr änderte YouTube seine Richtlinien: In „Videos mit Inhalten, bei denen der Fokus auf Blut, Gewalt oder Verletzungen liegt und die ohne Kontext präsentiert werden“, dürfe laut der neuen Richtlinie keine Werbung eingeblendet werden. Offenbar bewegten finanzielle Gründe YouTube dazu, diese Richtlinienänderung durchzuführen, die von einigen Standpunkten durchaus zu kritisieren ist (etwa aus der Gaming-Community oder von Kriegsberichterstatter_innen). Zudem behält sich die Internetplattform weiterhin das Recht vor, Videos zu löschen und Kanäle zu sperren, wenn sie den hauseigenen Richtlinien widersprechen.

 

Die Reaktionen der rechten Twitter-Community

Betrachtet man die Twitter-Reaktionen der größtenteils amerikanischen User_innen nach der Gewalttat, findet man unterschiedlichste Ansätze, die die Tat zu erklären versuchen. Die verschiedenen Erklärungsansätze geben unterschiedliche Einblicke in die Absichten der Absender_innen und ihrer Vorurteile.

 

#CensorshipKills: Aghdam als „politische Kämpferin“

Die bisher prominenteste Deutung der Ereignisse findet sich unter dem Hashtag #CensorshipKills. Größtenteils Alt-Right-Aktivist_innen (doch nicht ausschließlich) stilisierten die Schützin zum ersten blutigen Opfer im Kampf um die Meinungsfreiheit. Aghdam wird hier zur „politischen Kämpferin“ gemacht.

 

Screenshot Twitter

 

 

Screenshot Twitter

 

Doch wie soll die rechte Blase damit umgehen, dass die Schützin POC war?

Eine rechte YouTuberin, die den Islam gerne als politische Ideologie beschreibt und den Propheten Mohammed als „kriegshetzerischen Pädophilen“ bezeichnet, meint in diesem Zusammenhang müsse man sich darauf fokussieren, dass Aghdam wütend darüber war, dass sie angeblich ihre freie Meinung nicht mehr äußern durfte.

 

Screenshot Twitter

 

Die Schützin war keine Muslima

Andere verweisen darauf, dass Aghdam keine Muslima war, sondern Anhängerin des Bahaitums.

 

 

Screenshot Twitter

 

Nasim Aghdam war keine Muslima. Doch dass sie in jungen Jahren aus dem Iran in die USA immigrierte, ist für einige Rassist_innen ein gefundenes Fressen und Grund, über das Einreiseverbot von Muslimen zu sprechen und eine Verschärfung zu fordern.  

Screenshot Twitter

 

„Geschlechtergerechtigkeit bei Amokläufen“

Die reichweitenstarke rechte YouTuberin Lauren Rose freut sich über weibliche Repräsentation in der eigenen Sache.

 

Screenshot Twitter

 

Screenshot Twitter

 

Aghdam als Transfrau

Andere wiederum spekulieren, dass Aghdam eine Transfrau sei und rufen zum Kampf gegen die „Homo-Lobby“ und gegen den Feminismus auf.

 

Screenshot Twitter

 

Screenshot Twitter

 

Die Schützin als linke Aktivistin

Andere rechte Aktivist_innen behaupten, Aghdam sei eine linke Aktivistin gewesen, da sie sich für Tierrechte eingesetzt hat und Veganerin war. Donald Trumps Jr. etwa fragt rhetorisch, wie wohl die Reaktionen auf die Schießerei gewesen wären, würde es sich um ein Mitglied der Waffenlobby handeln und nicht um eine „liberale vegane PETA-Aktivistin“.

Screenshot Twitter

Angefangen bei ihrem Geschlecht, passt die YouTube-Schützin nicht in das „klassische Bild“ eines Amokläufers. All die unterschiedlichen Antworten auf die schockierende Gewalttat wollen ihre ganz eigene Geschichte verbreiten und nutzen die Motive der Täterin für ihre Ziele. Aghdam war eine Frau, die offenbar aus einem Wahn heraus, an einem öffentlichen Ort begann um sich zu schießen und die Waffe letztendlich gegen sich selber richtete. Nur mit Glück ist sie nicht zur Mörderin geworden. 

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Wer unterzeichnet eigentlich die "Erklärung 2018"?

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Wenig Worte, die offenbar viele ansprechen: Besonders Rechtspopulist_innen und die rechtsextreme "Neue Rechte" finden die "Erklärung 2018" ansprechend.
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Screenshot, 06.04.2018

Die „Erklärung 2018“ erscheint am 15. März 2018 im Internet auf einer gleichnamigen Website. Sie ist kurz, enthält aber trotzdem mehrere Rechtsaußen-Schlüsselwörter, und hatte eine Unterzeichner_innen-Liste, die so sehr nach Who-is-Who der rechtskonservativ-rechtspopulistisch-neurechten Sphäre klingt, dass die „Erklärung“ zunächst wie eine fremdaufgesetzte Falschmeldung wirkt. Aber nein, etliche Bekräftigungstexte der Unterzeichnenden später wabert sie durch das Internet und ist vor allem ein Beleg dafür, wie die rechte Sphäre sich zu inszenieren versteht – und welche Personen sich hier zugehörig fühlen.

Von Simone Rafael

Im Internet feiert die rechte Sphäre ein Textchen von 33 Wörtern, das als „Erklärung“ deklariert wird. Es kommen für Rechte wichtige Schlüsselwörter darin vor, die zugleich aber als Intellektualisierung des flüchtlings- und islamfeindlichen Wutbürgertums der Straße à la „Pegida“ oder „Merkel muss weg“-Demos gelesen werden können.  „Befremden“ heißt hier die geifernde Wut oder Angst vor möglicher Veränderung, die noch nicht einmal eingetreten ist. Die Flucht gefährdeter Menschen vor den Schrecken des Krieges wird zur „illegalen Masseneinwanderung“. Es ist die Rede – ganz im Anklang auf die Demonstrationen in der DDR 1989 - von „solidarisieren“ und „friedlich demonstrieren“. Nicht fehlen dürfen „rechtsstaatliche Ordnung“ und „Grenzen“. Bis auf die „illegale Masseneinwanderung“, die sachlich falsch und in dieser alarmistischen Diktion in Rechtsaußen-Diskursen vorkommt,  klingt das erstmal nach „Law and Order“ und Demokratiemüdigkeit, aber nicht nach einem Schulterschluss mit rechtsextremen, völkischen und rassistischen Kräften und Ideen.

 

Schulterschluss mit wem?

Dieser Schulterschluss ist allerdings gemeint und in den wenigen Zeilen formuliert, wenn sich mit denen solidarisiert wird, die „friedlich demonstrieren“. Denn damit sind ja „Pegida“ und „Merkel muss weg“-Demonstrationen gemeint,  vielleicht auch lokale flüchtlingsfeindliche „Nein zum Heim“- und „XY wehrt sich“-Demonstrationen. Das sind alles Demonstrationen, auf denen Neonazis, Neue Rechte, Identitäre und rechte Hooligans neben anderen rechtspopulistischen, etwa AfD-nahen Teilnehmer_innen gern gesehen sind. Und das versteht die rechte Sphäre natürlich auch genau so, und so unterstützt sie die „Erklärung 2018“, sobald sie es durfte.  Anfangs sollten die Zeilen nämlich nur für Akademiker_innen unterschreibbar sein – um zu beweisen, dass auch studierte Menschen unreflektiert Ressentiments schürende Pamphlete unterschreiben. Doch dann überwog bei den Erstunterzeichner_innen und Organisator_innen offenbar der Wunsch nach der Macht des Internets.

 

Die rechte Sphäre im Internet…

Die „Erklärung 2018“ wird Ende März von Ex-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld in eine Petition für alle umgewandelt und wird seitdem auf allen rechten Kanälen des Netzes – und das meint von rechtsreaktionär bis rechtsextrem – als Stein der Weisen beworben, als Stachel im Fleisch des Establishments, als Sieg der „unterdrückten Mehrheit“, als die sich die rechte Sphäre imaginiert. Aktuell haben rund 90.000 Menschen die „Erklärung“ ohne echte Forderung unterschrieben. Sie können darunter verstehen, was sie wollen – wobei ein „Merkel muss weg“ bei vielen aktuell wohl überwiegt, während etwa Initiatorin Vera Lengsfeld von geschlossenen Grenzen und Grenzkontrollen spricht und andere Mitunterzeichner das noch viel zu harmlos finden. 80.000 sind angesichts von rund 82 Millionen Einwohner_innen in Deutschland nicht nur keine Mehrheit,  sondern nicht einmal 0,25 Prozent – aber eines muss man den Initiator_innen lassen: Sie verstehen Öffentlichkeitsarbeit und bekommen Beachtung, als wären sie relevanter.

 

…feiert den „Erfolg“

Kein Wunder also, dass die Initiatoren feiern. Erstunterzeichner und Autor Hendryk M. Broder findet auf seinem Blog „Achse des Guten“: „Die ‚Erklärung‘ muss also einen Nerv getroffen haben, der bereits blank da lag. (….) Was trifft, trifft auch zu.“ Vera Lengsfeld meint: „Unsere Petition hat einen neuralgischen Punkt getroffen, deshalb reagiert das Establishment äußerst gereizt. (…) Unsere Seite ist ganz ungefährlich, jedenfalls für unsere Besucher.“

Rechtsaußen wird dem fleißig applaudiert. Das rechtspopulistische Querfront-Magazin „Compact“ schreibt: „Jetzt schlagen die Wellen so hoch, dass selbst die Tagesschau über die Aktion berichten musste.“  Die Tagesschau hat berichtet, gemusst hat sie das aber kaum.

Der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek erwartet, so schreibt er auf seinem Blog „Sezession“,  eine „Bekenntnislust“ zum Rechten und Reaktionären, auf die er sich freue – und das, obwohl seine Frau und Autorin Ellen Kositza bei der Erklärung nicht mitspielen durfte. Sie stand nämlich zunächst unter den Erstunterzeichner_innen, wurde dann aber wieder gestrichen. Kubitschek schreibt dazu: „Wer vermutet, daß sie manchem anderen Erstunterzeichner nicht tragbar schien, liegt richtig. Erstaunen bräche aus, wenn bekannt würde, wer intervenierte.“ Trotzdem ist er zufrieden – kein Wunder, viele Autoren aus dem Umfeld seines „Instituts für Staatspolitik“ und seines Blogs und Magazins „Sezession“ sind bei den Erstunterzeichner_innen dabei.

 

Wer sind die Erstunterzeichner_innen der „Erklärung 2018“?

Die Liste der Erstunterzeichner_innen enthält einige bekanntere Akteur_innen aus dem Spektrum zwischen Konservatismus und Rechtspopulismus. Dazu gehören „Welt“-  und „Achse des Guten“-Autor Henryk M. Broder, der ehemalige Berliner Finanzsenator und „islamkritische“ Buchautor Thilo Sarrazin, der ehemalige „Spiegel-“ und „Welt“-Autor und heutige „Merkel muss weg“-Redner Matthias Matussek, die ehemalige „Tagesschau“-Sprecherin und spätere „Kopp Verlag“-Autorin und Moderatorin Eva Herman oder die ehemalige Bürgerrechtlerin und „islamkritische“ Bloggerin Vera Lengsfeld. Rechte Berühmtheit im Internet hat die junge, rechtspopulistische Bloggerin Anabel Schunke erworben, sie gehört auch zu den Erstunterzeichnenden.

Dazu gesellt sich als eine prominente Figur der rechtsextremen „Neuen Rechten“ und Scharnierfigur zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus der umtriebige „Junge Freiheit“- und „Antaios“-Autor und ehemalige Leiter des neurechtsextremen „Instituts für Staatspolitik“ Karlheinz Weissmann, der aktuell auch in der Rechtsaußen-NGO „Ein Prozent für unser Land“ aktiv ist, die unter anderem Aktionen der rechtsextremen „Identitären“ unterstützt. Aus dem Umfeld des „Instituts für Staatspolitik“ kommen von den Erstunterzeichnenden außerdem Dr. Till Kinzel (schreibt oder schrieb u.a. für das Institut für Staatspolitik (IfS), die Publikation Sezession und den Antaios-Verlag sowie das neurechte Magazin „Eigentümlich frei“.) Aus dieser publizistischen neurechten Ecke kommt auch Frank W. Haubold (u.a. sehr regelmäßiger Autor für „eigentümlich frei“).

Dann gibt es etliche Autor_innen aus dem Umfeld der rechtspopulistisch-neurechten „Jungen Freiheit (JF)“. Deren Gründer und Chefredakteur Dieter Stein gehört selbst zu den Erstunterzeichnenden. Dazu kommen Autoren, die mit dem „Gerhard-Löwenthal-Preis“ der JF ausgezeichnet wurden: Heimo Schwilk (Preisträger für das Buch „Die selbstbewusste Nation“) und dessen Mitherausgeber Ulrich Schacht. Noch ein Preisträger ist Thorsten Hinz, der auch ehemaliger Redakteur der „Jungen Freiheit“ ist und u.a. für „eigentümlich frei“, „Sezession“ und die Preußische Allgemeine Zeitung[5] (PAZ) der „Landsmannschaft Ostpreußen“ schreibt. Noch ein Preisträger ist Andreas Lombard, der außerdem Veranstaltungen der AfD Sachsen moderiert und aktuell Chefredakteur des rechtspopulistischen Zweimonatsmagazins „Cato“ ist.

Zum AfD-Umfeld gehören von den Erstunterzeichnenden außerdem der ehemalige „Focus“-Journalist und nun AfD-Berater Michael Klonovsky. Dann ist da Matthias Moosdorf, u.a. Cellist im Leipziger Streichquartett und Autor für „Der blaue Kanal“, den ehemaligen Blog der ehemaligen AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry, Klaus Kelle (Autor u.a. für Kath.net, Beatrix von Storchs „Die Freie Welt“ und einer Kolumne namens „Politisch inkorrekt“ bei RP Online, Ehemann von Birgit Kelle) und Prof. Max Otte (Ökonom und öffentlicher AfD-Unterstützer).

Aus dem Umfeld der „Achse des Guten“ haben der Autor Herbert Ammon und die Autorin Annette Heinisch unterzeichnet.

Dazu kommen eine Reihe von Schriftstellern, die sich bereits „flüchtlings-„ oder „islamkritisch“ geäußert haben, ganz vorn wegen aktueller Prominenz im Feld Uwe Tellkamp, dazu Jörg Friedrich, Jörn Bernig, Egon Flaig, Frank Böckelmann und Thomas-Jürgen Muhs („Tumult Magazin“), und bisher weniger einschlägig bekannte Autoren wie Krisztina Koenen, Alexander Wendt und Dr. Ulrich Fröschle.

 

Und wer ist dabei, seit alle unterschreiben dürfen?

Seit die Liste der „Erklärung 2018“ für alle geöffnet wurde, sind natürlich noch viele nicht-prominente und einige einschlägige Aktivist_innen dazugekommen, etwa aus dem neurechten „Antaios-“, „Sezessions-„ und „IfS“-Umfeld kommen als Autor_innen noch Martin Semlitsch, der sich „Martin Lichtmesz“ nennt und Caroline Sommerfeld-Lethen, hier als „Philosophin“ geführt. Interessant in diesem Zusammenhang auch Dr. Lothar Fritze, Politikwissenschaftler des „Hannah Arendt Instituts für Totalitarismusforschung“ der TU Dresden, der Beziehungen zur neurechten „Sezession“ und zum IfS pflegt.

Auch einige „Pegida“-Aktivistinnen finden sich auf der Liste der Unterzeichnenden, etwa Angelika Barbe, ehemalige Bürgerrechtlerin, ehemalige CDU-Politikerin, „Pegida“-Aktivistin und „Cicero“-Autorin und Renate Sandvoß, freie Journalistin u.a. für den rechtspopulistischen Blog „Journalistenwatch“ und „Pegida“-Rednerin. Auch Autorin Rebecca Schönenbach, aktiv in der rechtspopulistisch-islamfeindlichen Initiative "Frauen für die Freiheit", hat unterzeichnet. Aus der AfD findet sich etwa Lion Edler, Politikwissenschaftler, Autor u.a. für die „Junge Freiheit“, das neurechte Magazin „eigentümlich frei“ und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag und Wirtschaftswissenschaflter Dr. Sammy Ziouziou, Funktionär der AfD Kreis Mettmann.

Andreas Popp, Anhänger der Reichsideologie und Verschwörungstheoretiker, erscheint als „Ökonom und Buchautor“. Schlicht als „Autor“ wird Peter Töpfer geführt, der u.a. für das rechtspopulistische „Compact“-Magazin schreibt, sich „Nationalanarchist“ nennt und Begründer des „Instituts für Tiefenwahrheit“ ist. Er erlangte einschlägige Bekanntheit als Teilnehmer der antisemitischen Teheraner Konferenz „New Horizon“ von Holocaust-Leugner_innen im Jahr 2006. Ebenfalls interessant ist Árpád Baron von Nahodyl Neményi, neuheidnischer Autor und Begründer der  „Germanischen Glaubens-Gemeinschaft e.V.“, der 2015 bei den Kreistagswahlen für die AfD Potsdam-Mittelsmark und für die Stadtverordnetenversammlung in Bad Belzig kandidierte, inzwischen aber laut seinem Blog mit der Parteipolitik abgeschlossen hat.

NPD-Funktionär Ronny Zasowk vermerkte sich als „Diplom-Politikwissenschaftler und M.A. Governance“, wurde aber wieder entfernt.

Trotzdem: Wer hier unterschreibt, findet sich also nicht nur mit Rechtspopulist_innen und abwertenden „Islamkritiker_innen“ auf einer Liste, sondern mit diversen Publizist_innen der rechtsextremen „Neuen Rechten“, mit Verschwörungstheoretikern und Holocaust-Relativierern.

 

Nächster Stopp: „Petition“ im Bundestag?

Die Initator_innen der „Erklärung 2018“ geben an, eine „Massenpetition“ an den deutschen Bundestag senden zu wollen. Darin fordern sie „Kontrolle der Grenzen“ gegen das „illegale Betreten des deutschen Staatsgebiets“, eine Kommission, die Vorschläge erarbeiten soll gegen „schrankenlose Migration“ und „Kontrollverlust im Inneren des Landes“ und für „wirksame Hilfe für die tatsächlich von politischer Verfolgung und Krieg bedrohten“. 50.000 Unterschriften wären nötig, um im Petitionsausschuss des Bundestages zu sprechen, die Webseite der „Erklärung 2018“ gibt an, nun 93.000 Unterstützer_innen zu haben, was aber eine unüberprüfbare Eigenangabe ist. Im Petitionsausschuss dürften die Übergebenden allerdings nicht nur reden, sie müssten sich auch die Antworten der Bundesregierung anhören – auch wenn zu vermuten ist, dass sie kaum gewillt sind, einer von ihrer abweichenden Meinung Gehör zu schenken.

 

Gegenpetition

Auch wenn sich die "Erklärung 2018" eigentlich selbst diskreditiert, gibt es inzwischen eine Gegen-Petition.

Die Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut in unserem Land Zuflucht suchen, und wenden uns gegen jede Ausgrenzung.

Sie kann hier unterzeichnet werden:

http://antwort2018.hirnkost.de/

 

Mehr im Internet:

Weitere Analyse zu Unterzeichner_innen: 

Einschätzung bei "Titel Thesen Temperamente":

 

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Schlappe für neurechte NGO "Ein Prozent" vor Gericht

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Screenshot Ein Prozent

Im Herbst 2017 kam es zu einem Buttersäure-Anschlag auf das Haus der „Identitären Bewegung“ in Halle. Die reichweitenstarke neurechte NGO „Ein Prozent“ brachte den Soziologen und IB-Experten, Jerome Trebing, mit der Tat in Verbindung. Es folgte viel Hass und sogar Morddrohungen. Nun zog Trebing vor Gericht.

 

Theresa Lehmann

 

„Ein Prozent“ inszeniert sich auf ihrer Homepage als „Graswurzelorganisation“, deren inhaltlicher Aufhänger die angebliche  „Flüchtlingsinvasion oder auch Asylkatastrophe“ ist. Sie wollen die „Auflösung der Rechtsordnung und der Staatlichkeit Deutschlands“ durch eine „aufgezwungene Willkommenskultur" und "die Lügen der Politik und Medien" verhindern. Deren Aufgabe sei es, zu „dokumentieren, vernetzen, recherchieren und klagen“. In ihrer Selbstbeschreibung bezeichnet sich das Projekt als „professionelle Widerstandsplattform für deutsche Interessen“ und ist auch personell eine Schnittstelle für zahlreiche rechte Spektren. „Ein Prozent“ ist als Gemeinschaftsprodukt der Neuen Rechten aus Österreich und Deutschland einzustufen.

Der Soziologe und Sozialarbeiter Jerome Trebing, bekannt als Fachexperte mit Schwerpunkt Neue Rechte, hatte „Ein Prozent e.V.“ nun medienrechtlich verklagt, nachdem diese ihn im Oktober letzten Jahres mit einer Attacke auf das Hausprojekt der „Identitären Bewegung“ in Halle (Kontrakultur) in Verbindung gebracht hatten. Mit über 10.000 Tweets über Strukturen, Vernetzung und Einschätzungen der Identitären Bewegung betreibt Trebing mit vier weiteren erfolgreich das Recherchekollektiv „Mensch Merz“ auf Twitter. Regelmäßig referiert er auch über Themen der Neuen Rechten, vor allem über die „Identitäre Bewegung“, seine Vorträge sind in sowohl in Österreich, als auch in Deutschland gefragt.

 

Buttersäure-Anschlag auf das IB-Haus in Halle

Einen Tag nach einem Vortrag zur „Identitäten Bewegung“ in Halle, wurde das identitäre Hausprojekt in der Adam-Kuckhoff-Straße mit Steinen und Buttersäure angegriffen. In dem Artikel auf der „Ein Prozent“-Website „Anschlag in Halle: Die geistigen Brandstifter“ vom 26.10.2017, wurde Trebing neben einem Bild von ihm, als „geistiger Brandstifter“ und „digitaler Hassprediger“ bezeichnet. Auch seine Arbeit als freier Referent wurde in dem Artikel durch den Verweis auf vermeintliches Halbwissen und Falschaussagen angegriffen.

Darüber hinaus mutmaßte man über seine Beteiligung an der Sachbeschädigung des Hauses und weitere Taten. Der Artikel wurde von Rechtspopulisten und -extremen vielfach geteilt. Auch der im selben Haus wie die „Identitäre Bewegung“ ansässige AfD Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider hatte den Artikel verbreitet.

Es folgten Hasskommentare, Beschimpfungen und Morddrohungen. Neben weiteren Bildern, wurde auch die Arbeitsadresse von Trebing veröffentlicht. An der Tür der sozialen Einrichtung, für die er arbeitete, klebten wiederholt rechte Sticker. Er entschied daraufhin eine berufliche Auszeit zu nehmen, um die Einrichtung nicht weiter zu gefährden. Im Wiener Landesgericht für Strafsachen versuchte der Anwalt der Angeklagten, anhand zahlreicher eingebrachter Social Media Beiträge des Klägers, die unhaltbaren Behauptungen des Artikels zu untermauern und Trebing in seiner politischen Arbeit und Zielen zu kriminalisieren. Nach Angaben der Richterin wurde das Material erst einen Tag vor dem Prozess eingereicht. Damit sollte ein gewisses Bild von Trebing konstruiert werden, gab die Anwältin des Klägers zu bedenken. Die Richterin war wenig begeistert von der Kurzfristigkeit der Einreichung und überlegte zu Beginn des Verfahrens laut darüber, ob sich dahinter eine Taktik verberge.

Der Verteidigung war wohl bereits im Vorfeld klar, dass der Artikel nicht weiter so stehen bleiben würde, denn in der weiteren Erörterung ergab sich nichts stichhaltiges, was die schwerwiegenden Behauptungen gestützt hätte. Die Richterin kommentierte dies trocken damit, dass sie schon verstanden habe, das Herr Trebing kein SPÖ Mitglied sei, sondern eher links davon stehe. Im Plädoyer wies die Vertreterin des Klägers noch einmal deutlich auf die Taktiken neurechter Akteure hin, politische Gegner_innen mit Kampfbegriffen und Anschuldigungen zu verleumden. Ziel solcher Artikel ist es, Antifaschismus zu diffamieren, indem dieser mit Gewalttaten in Verbindung gebracht wird. Über die individuelle Bedrohung und Beleidigung hinaus, führt dies zu Einschüchterung und Abschreckung. Die Angeklagten, nur durch ihren Anwalt beim Verfahren vertreten, wurden für schuldig befunden. „Ein Prozent“ soll wegen übler Nachrede 3.000 Euro Entschädigung zahlen, eine Gegendarstellung veröffentlichen und die Verfahrenskosten tragen. Begründet wurde die Strafe von 3.000€ damit, dass der Artikel keine kritische Auseinandersetzung und Kriterien der journalistischen Sorgfalt einhalte, sondern mit Unterstellungen gegen den Kläger Hetze anfache.

 

Ähnliches Verfahren gegen „Info.direkt“

„Ein Prozent“ geht nun in Berufung, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Für Trebing und seine Anwältin könnte das ausgesetzte Urteil richtungsweisend sein, denn gegen das vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes als rechtsextrem eingestuftes Magazin „Info.direkt“ läuft ein ähnliches Verfahren.

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"Neue Rechte" gegen die "Entmannung"

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Jack Donovan, so berichtet er in diesem Video vom Event in Schnellroda, predigt die Rückkehr zur Gewalt, denn die herrsche halt: "Die Leute, die 'Safe Spaces', Liebe und Frieden wollen, werden Männer mit Knarren schicken, um euch den Tod anzudrohen, wenn ihr nicht tut, was sie wollen".
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Screenshot YouTube, 22.06.2018

In Schnellroda, auf dem Gut des rechtsextremen Publizisten Götz Kubitschek, trifft sich der Teil der sich selbst "Neue Rechte" nennenden Rechtsextremen, die sich für intellektuelle Vordenker handeln. Manchmal sind allerdings die Gäste entlarvend: Wenn dort etwa der schwule rassistische Gewaltbefürworter Jack Donovan referiert, die "weiße Mainstream-Kultur" sei "entmannt und unterwürfig", wird der "Gewalttrieb" idealisiert - und die Abgrenzung zum "klassischen" Rechtsextremismus wird brüchig.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus dem "Jahrbuch rechte Gewalt 2018" von Andrea Röpke.

 

Schnellroda, Februar 2017. Sensen und andere ländliche Gerätschaften zieren die Wand des Veranstaltungssaals im Gasthof. Der Name des 200-Seelen-Dorfes ist zum Markenzeichen einer Strömung geworden, die den Ort als nationale Scholle, »Ideologie-Tankstelle« oder »Kraftzentrum« vereinnahmt. Einige der auf dem Videokanal Youtube hochgeladenen Clips des »Kanals Schnellroda« zeigen das Geschehen hinter verschlossenen Türen recht deutlich. Für die »Winterakademie 2017« ist ein Holzpult  aufgestellt  worden.  Die  Logos  des  Verlags Antaios,  der Zeitschrift Sezession und des »Instituts für Staatspolitik« sind zu sehen. Als Redner wurde das Who’s who der rechtsintellektuellen Szene geladen: Dr. Marc Jongen von der AfD, Dr. Erik Lehnert, Hausphilosoph des Instituts, der Wortführer der extrem rechten »Identitären Bewegung« Martin Sellner aus Wien sowie der Schriftsteller und PR-Berater der AfD, Thor Kunkel. Bei Alternativ-Cola und intensiven Gesprächen über das Lieblingsthema der »Neuen Rechten«, die philosophische Staatslehre, sprich Metapolitik, bleiben die Männer fast ausschließlich unter sich. Weibliche Teilnehmerinnen bilden die Ausnahme.

Die weiße Mainstream-Kultur sei entmannt und unterwürfig, lautet eine der rassistisch-provokanten Thesen von Jack Donovan, vorgetragen in Schnellroda. Der US-Amerikaner, Schriftsteller  und  Bodybuilder,  ist  Stargast  der  »Winterakademie 2017«. »Violence is Golden«, diese Parole prangt auf dem braunen  Shirt  des  Redners.  Jack  Donovans  Rhetorik  strotzt  vor Kraftausdrücken. Der Amerikaner, Jahrgang 1974, tritt morgens gegen neun Uhr ans Rednerpult. Donovan stellt nicht nur äußerlich einen totalen Gegenentwurf zum vorherrschenden Scheitel- und Schmissträgerlook in der Gaststätte "Zum Schäfchen" dar: glatzköpfig, auffällig tätowiert, muskelbepackt. Er wirkt wie ein Fremdkörper in dieser vornehmlich  antimodern  ausgerichteten  Umgebung.  Der  bekennende  Homosexuelle  distanzierte  sich  von  der  Schwulenbewegung  –  als  deren  Vertreter  hätte  er  es  wohl  kaum  nach Schnellroda  geschafft.  Im  "Schäfchen"  stellt  er  sein  neuestes Werk mit dem Titel: »Der Weg der Männer« vor, auf Deutsch erschienen im Antaios Verlag.

Der  US-Rechte,  der  der  »Alt-Right«-Bewegung  zugerechnet wird, inszeniert sich als archaischer Vertreter einer Idee, die auf Verehrung von Barbarentum, Kriminalität und heidnischem Kult basiert. Will der braungebrannte US-Amerikaner vordergründig auch nicht in die Veranstaltung passen, ist er in rechten Kreisen  doch  längst  Kult.  Die  Menge  schmächtiger  Brillenträger feiert ihn und damit die Idealisierung des Gewalttriebs, gepaart  mit  einem  heroischen  Männlichkeitsbild.  Feindbilder stellen Frauen und, so paradox es klingen mag, auch Homosexuelle dar. Nicht zuletzt mit der Einladung eines rassistischen Hardliners wie Jack Donovan bröckelt die Fassade des »Instituts für Staatspolitik« als vermeintlich konservativer Einrichtung gewaltig.

Donovans Buch zu lesen stellt für den Hamburger Historiker Volker Weiß eine Zumutung dar, daraus macht er im eigenen Werk »Die autoritäre Revolte« keinen Hehl. Weiß schreibt, die Herausgabe von »Der Weg der Männer« durch den Verlag Antaios entlarve das Milieu »als von primitivsten Begehrlichkeiten getrieben«. Doch der Reiz Donovans für ein sich selbst als »konservativ« definierendes Milieu liege vor allem in der anthropologischen Argumentation: Natur statt Kultur, Kampf statt Zivilisation. Die scheinbar zugrunde liegende Schwäche für ein neues Barbarentum wird in dem neurechten Verlag als »Reconquista maskuliner Ideale« gepriesen. Der Begriff Reconquista steht für Rückeroberung, anders als im historischen Kontext soll er hier als Kampf um politische Ideale verstanden werden. »Sie alle führen als Identitäre in ihrer Angst vor dem Nicht-Identischen einen wahren Feldzug gegen jede Form der Verunsicherung eines festen Geschlechterschicksals«,  erklärt  Weiß.  Im  Fall  der  »Neuen  Rechten«  sei  der Wunsch  »nach  ungebrochener  Klarheit  ebenso  deutlich  wie verräterisch«.

»Gewalt herrscht« ist Donovans zentrale Botschaft, auch an diesem  winterlichen  Morgen  in  Sachsen-Anhalt.  Gewalt  sei »das  vorherrschende  Prinzip  und  die  grundlegende  Funktion der Männlichkeit« und jede »neue Ordnung«, jedes »neue Zeitalter der Menschheit« werde durch »schöpferische Gewalt« bestimmt. An die Kameraden gerichtet, fordert er: »Wir können Stärke innerhalb unserer eigenen Kreise kultivieren, indem wir einander Stärke abverlangen.« Fordern deutsche Neonazis noch die Bildung nationaler »Kampfgemeinschaften«, so redet Donovan weitaus moderner von »Gangs«, die ihre Stärke beim Zusammenbruch der bestehenden Zivilisation beweisen könnten. Körperkult und Machogehabe halten unaufhaltsam Einzug.

Im historischen Faschismus war die ästhetische Inszenierung des  Körpers  ein  zentrales  Element.  Geometrisch  geordnete Marschkörper  von  SA,  SS  und  Wehrmacht  priesen  höchste Selbstdisziplin und Härte. Akt-Skulpturen von Staatskünstlern wie den Bildhauern Arno Breker oder Joseph Thorak zeigten panzerartige Körper in Siegerposen oder beim stolzen Besiegtwerden. Propagandafilme, unter anderem von Leni Riefenstahl, inszenierten ein Trugbild vermeintlich unbesiegbarer arischer Krieger und Kriegerinnen.

Bereits 2013 forderte Götz Kubitschek stärkere Führungspersönlichkeiten, suchte nach »Desperados«. Längst verlassen die sich intellektuell Gerierenden die Studierzimmer und trainieren Kampfkunst  und  Angriffssport.  Vom  »stolzen  Mannestum«  schwadronierten bereits die völkisch-nationalistischen Erzieher der 2009 verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ), dessen ideologischer Ursprung im Soldatentum zu finden sei. Auch Bjorn Höcke, der so gerne Tabus bricht, wählte ähnlich klingende Worte auf dem AfD-Parteitag Ende 2015: »Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur wenn wir unsere  Männlichkeit  wiederentdecken,  werden  wir  mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden.«

Kubitscheks Ehefrau Ellen Kositza bespricht Jack Donovans Buch in einem Videoclip des »Kanals Schnellroda« bei Youtube. Es sei kein Buch für Männerrechtler, sagt sie, vor heimischen Bücherregalen, im Wohnzimmer sitzend. Es gehe Donovan vielmehr darum, dass Männer wieder in der Lage sein sollten,  ihr  Revier  abzustecken.  »In  der  heutigen  Zeit  blöke  die Herde nach Designern, nach Künstlern, nach Schwätzern, die nicht mehr könnten, als lustig, witzig und hübsch zu sein«, so die Mutter von sieben Kindern. Kraft, Mut, Ehre und Kompetenz dagegen seien vier der »Männertugenden« nach Donovan. »Einem Geheimtipp gleich« mögen Gefährten sich dieses Buch Die »Neue Rechte« und die »Identitäre Bewegung« einander zustecken, gibt sie verschwörerisch die Botschaft eines anderen rechten Rezensenten weiter.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus dem "Jahrbuch rechte Gewalt 2018" von Andrea Röpke, aus dem Kapitel "Die 'Neue Rechte', die 'Identitäre Bewegung' und das Motto 'Gewalt herrscht" (S. 39-67). Mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Das "Jahrbuch rechte Gewalt" versammelt in einer umfassenden Chronik alle Gewaltverbrechen mit rechtsradikalem Hintergrund, dokumentiert einzelne Fälle und Täter in Reportagen und Porträts, leuchtet Vorgehensweisen, Tätergruppen, lokale Schwerpunkte und Tendenzen in Hintergrundberichten und Analysen aus.

 

Andrea Röpke
Jahrbuch rechte Gewalt 2018

Knaur Taschenbuch, München 2018

382 Seiten

12,99 Euro

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Was ist die Alt-Right? Kompakt erklärt.

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picture alliance / AP Photo

Die amerikanische Alt-Right hat es mit Rassismus, Antisemitismus und menschenfeindlicher Rethorik bis ins Weiße Haus geschafft. Für die sogenannte "Neue Rechte" in Deutschland und Europa ist sie dadurch zum Stichwortgeber und Vorbild geworden. Was macht die Bewegung so gefährlich und was steckt hinter ihrer Ideologie? Das Instititut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) aus Jena hat einen Factsheet veröffentlicht, der kurz und knapp alle wichtigen Fakten zusammenfasst. Hier finden Sie den Flyer auch zum Download. 

Mit der Wahl des US-Präsidenten Donald Trump erlangte eine bislang weitgehend unbekannte Bewegung Prominenz: die Alternative-Right-Bewegung (Alt-Right). Die Alt-Right unterstützte Trump im Wahlkampf und einige Sympathisant_innen konnten schließlich auch hochrangige Posten in der Regierung einnehmen. Geboren als eine radikale Alternative zum US-amerikanischen Konservatismus, entwickelte sie sich erst in Online-Foren und bildete bald politische Thinktanks. Ihre rassistische Botschaft verbreitet sie hauptsächlich über eine zynische Bildsprache und provokative Äußerungen in den Medien. Sie nimmt Einfluss auf die demokratische Kultur und politische Debatten. Spätestens seit dem rechtsextremen Aufmarsch in Charlottesville (Virginia, USA) im August 2017 verdeutlicht sich allerdings, dass dieser online geschürte Hass schnell in Gewalt und politischen Mord umschlagen kann: So starb auf einer Gegenkundgebung die 32-jährige Heather Heyer, als ein rechtsextremer Aktivist mit seinem Auto gezielt in eine Menschenmenge fuhr. Zudem gab es bewaffnete Auseinandersetzungen mit Gegendemonstrant_innen und der Polizei. Mehrere Köpfe der Alt-Right feierten diesen Tag als großen Erfolg für die Bewegung.

Der Alt-Right liegt kein festes Ideologiefundament zugrunde. Im Zentrum stehen die Zurückweisung menschlicher Gleichwertigkeit und die Betonung weißer Identität, die es gegen den gesellschaftliche Vielfalt und die liberale Demokratie zu verteidigen gelte. Sie kann als eine radikale Form des politischen Backlash gegen die Errungenschaften der Bürgerrechts- und Frauenbewegung verstanden werden. Im Zentrum steht das Aufwiegeln von ethnischen und sozialen Konflikten, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterminieren soll.

Unter dem gemeinsamen Dach der Alt-Right agiert eine Vielzahl von fragmentierten Gruppierungen. Generell lässt sich zwischen einem harten Kern der Alt-Right und der gemäßigteren Alt-Light unterscheiden. Erstere agieren offen mit dem Begriff von ‚Rasse‘ und weißen Überlegenheitsvorstellungen und distanzieren sich bestenfalls halbherzig von neonazistischen Milieus. Alt-Light-Repräsentant_innen argumentieren eher kulturalistisch und agitieren vor allem gegen den Islam. Auch finden sich vereinzelt rechte Homosexuelle und Feminist_innen unter ihnen, was die Heterogenität und Widersprüchlichkeit andeutet.

Die Alt-Right erlangte Aufmerksamkeit durch ein weitverbreitetes Netz von Medien, das sich als Alternative zu den Mainstream-Medien versteht und mit Halbwahrheiten, Fehlinformationen, Verschwörungsmythen und politischer Hetze agiert. Breitbart News stellt ein Verbindungsmedium in den politischen Mainstream dar. Der frühere Kopf von Breitbart, Steve Bannon, galt lange Zeit als Trumps Chefberater. Erfolge der Bemühungen, verschiedene Spektren der extremen Rechten über Online-Diskurse zu vereinen, zeigen sich schlussendlich in der koordinierten Aktion auf der Straße.

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Die Verschwörungstheorie vom "Großen Austausch" kompakt erklärt

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Eine Demo der selbsternannten Jugendbewegung der "Identitären" in Berlin im Sommer 2017.
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AAS

Für die rechtsextremen "Identitären" ist der "Große Austausch" eine ihrer Lieblingserzählungen geworden. Und auch der Rest der sogenannten "Neuen Rechten" raunt apokalyptisch über die dunklen Mächte, die im Hintergrund angeblich das "Volk" austauschen wollen. Worum geht es eigentlich, was will man damit erreichen und was steckt ideologisch hinter der "Neuen Rechten" und ist das alles wirklich "neu"? Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) hat genau dazu gerade einen Flyer mit Fakten und Hintergründen veröffentlicht. Hier können sie das Factsheet auch runterladen.   

Seit einigen Jahren kursiert das Narrativ des ‚großen Austauschs‘ in rechtsradikalen Zirkeln, wonach eine europäische ‚Stammbevölkerung‘ durch kulturell ‚fremde‘ Bevölkerungsgruppen ersetzt werde. Das Konzept des ‚großen Austauschs‘ kann als ein Meta-Narrativ der extremen Rechten verstanden werden, das verschiedene Agitationsthemen unter einen gemeinsamen Schirm bringt – etwa Migration, ‚Islamisierung‘, Kriminalität, Elitenkritik oder Souveränität. Es verbindet dabei antimuslimischen Rassismus mit antisemitischen Stereotypen und versorgt verschiedene Spektren der extremen Rechten mit theoretischem Nährboden für die Artikulation ihrer Menschenfeindlichkeit. Häufig wird eine jüdische Verschwörung als Strippenzieherin des angeblichen ‚Austauschs‘ konstruiert.

Der Begriff der ‚Neuen Rechten‘ wird durch einen inflationären Gebrauch in Politik und Medien oft verzerrt. Dabei geht es weniger um eine temporale Neuheit eines Phänomens als vielmehr um eine Denkstruktur, die die extreme Rechte in den vergangenen Jahrzehnten stark geprägt hat. Sie ist im Frankreich der 1960er Jahre entstanden und versteht sich als rechte Gegenbewegung zur Studierendenrevolte. Es geht in ihrem ‚metapolitischen‘ Ansatz darum, langfristig auf politische Prozesse einzuwirken und die kulturelle Grundlage für eine gesellschaftliche Umgestaltung zu schaffen. Ein Kernkonzept stellt der sogenannte Ethnopluralismus dar, wonach kulturell homogene Räume und Nationen geschaffen werden sollen.

In der Forschung wird die Konstruktion angeblich homogener Kulturen und Identitäten als Neorassismus bezeichnet. So versuchen neurechte Akteure, dem Rechtsextremismus eine intellektuelle Maske aufzuziehen und alte Ideen in neue Sprüche zu verpacken. Mit dem jüngsten Erfolg rechtsextremer und rechtsradikaler Parteien wurde ihr Theoriekanon zunehmend von relevanten Akteuren übernommen. Es entstand eine vielfache Wechselwirkung zwischen rechten Parteien, Bewegungen und Denkfabriken. Die europaweit agierenden Identitären als neurechte Jugendbewegung fungieren als Verbindungselement zwischen den extrem rechten Spektren.

 

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Verfassungsschutzbericht 2017: Die Zeitreise des Innenministeriums

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Horst Seehofer und Hans-Georg Maaßen bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes für 2017.
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Am Dienstag haben Innenminister Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen den Verfassungsschutzbericht für 2017 vorgestellt. Dabei stellt sich heraus: Der Verfassungsschutz hat eine Zeitmaschine im Keller und es ist plötzlich wieder 2012. Neonazis sind die Bedrohung, kein Wort über die "Neue Rechte". Ihr parlamentarischer Arm, die AfD, kommt lediglich als Opfer vor.

Von Stefan Lauer

Horst Seehofer ist besorgt. Der Verfassungsschutzbericht zählt 12.900 Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum, die nicht in Parteien oder Organisationen gebunden sind. Das kann sich Horst Seehofer nicht erklären. Immerhin "bereits im nächsten Jahr" rechnet der neue Heimatminister mit einer Studie aus seinem Haus, die klar machen soll, wie sich soviele Menschen so schnell radikalisieren können.

Dabei beobachtet der Verfassungsschutz weiter. Im Themenfeld Rechtsextremismus die seit Jahren üblichen Verdächtigen: NPD, Die Rechte, Dritter Weg und deren Umfeld. Also klassische Rechtsextreme, die mehr oder weniger eindeutig die Verfassung und die Bundesrepublik ablehnen. Nun behandelt der aktuelle Bericht aber 2017. Das Jahr, in dem die AfD in den Bundestag eingezogen ist, unterstützt von tausenden Bildschirmkrieger*innen, die sich auf der Internetplattform Discord organisierten. Das Jahr, in dem die rechtsextreme "Bürgerinitiative" EinProzent zum Beispiel ankündigte, auf die Betriebsratswahlen einwirken zu wollen und der rechtsextreme österreichische Aktivist Martin Sellner auf der Konferenz des Verschwörungshefts "Compact" als "Held des Widerstands" ausgezeichnet wurde. Sellner steht übrigens aktuell in Graz wegen "Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung" vor Gericht.

Immerhin, erwähnt wird die AfD gleich 24 mal im 355 Seiten starken Bericht. 24 mal als Opfer. Denn gegen die Partei wird immer wieder demonstriert, auch von den vom Verfassungsschutz beobachteten linksextremistischen Gruppen. Dass Alexander Gauland die Taten der Wehrmacht doch so gern wieder im positiven Licht sehen will, dass ein Vorstandsmitglied der saarländischen AfD alle Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer versenken will , dass die AfD Salzgitter die Bundesregierung als das "widerwärtigste System das je auf deutschem Boden existierte" bezeichnete, dass die AfD Thüringen in einem Grundsatzpapier die "Durchmischung der Bevölkerung durch Personengruppen anderer Hautfarbe" kritisierte, dass Alice Weidel  politische Gegner in einer E-Mail als "Schweine" bezeichnet und über "Ueberfremdung" und "kulturfremde Voelker" schwadroniert, dass Björn Höcke eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert – davon ist nichts im Verfassungsschutzbericht zu finden.

Die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" wird immerhin als "Verdachtsobjekt" erwähnt. Die mannigfaltigen Verbindungen zur AfD? Kommen nicht vor.

 

Der Journalist Georg Restle, WDR, zum Verfassungsschutzbericht.

 

Die IB ist die einzige Gruppe aus der sogenannten "Neuen Rechten", die überhaupt Einzug in den Bericht gehalten hat. Keine andere Gruppe wird erwähnt. Nicht das "Institut für Staatspolitik" in Schnellroda, dass die neuen Rechtsextremen organisiert und von wo zum "Umsturz" aufgerufen wird, nicht die selbsternannte "Bürgerinitiative" EinProzent, die gerade völkische Siedlungen organisieren will und rechtsextreme Aktivist*innen aus allen Spektren miteinander vernetzt und finanziell unterstützt. Die “Initiative” macht mittlerweile – mit Hilfe der AfD – Veranstaltungen im Bundestag. Erwähnt wird ebenfalls nicht das Compact-Magazin mit seinem Chefredakteur Jürgen Elsässer, der schon bei den antisemitischen Montagsmahnwachen mit von der Partie war, heutzutage gern gesehener Gast von allem rund um Pegida und AfD ist und mit seinem Magazin großen Einfluss auf die neurechte Meinungsblase hat. Schon 2015 rief er deutsche Soldaten auf, "selbst aktiv" zu werden und die deutschen Grenzen zu sichern.

Und während Innenminister und Verfassungsschutz noch die 12.900 "unstrukturierten" Rechtsextremen suchen, sind ihnen offenbar die tausenden "Reconquista Germanica"-Trolle entfallen, die mit rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Memes versuchen, die öffentliche Meinung zu vergiften.

Die Akteure der sogenannten "Neuen Rechten", egal ob Think Tank, Magazin, Jugendbewegung. Bürgerinitiative oder Partei sind eine Gefahr für die Demokratie und die westliche Wertegemeinschaft. Der Verfassungsschutz muss das so schnell wie möglich erkennen, denn wenn die "Neue Rechte" ihr Ziel erreicht, wird es keine zu schützende demokratische Verfassung mehr geben.

 
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Chemnitz: Klagen allein reicht nicht!

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Gegenproteste wie hier in Chemnitz sind wichtig, strukturelle politische Veränderungen aber auch zwingend: Die demokratische Gesellschaft muss jetzt ihre Werte verteidigen.
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BTN/AAS

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, analysiert die Ereignisse um Chemnitz: Hier offenbart sich, wie weit das Projekt der rechten Sphäre gekommen ist, die nationalrevolutionäre und die sich bürgerlich gebende Rechte unter dem Banner von Rassismus und Demokratiefeindlichkeit zu vereinen. Nun ist erst recht die Zeit gekommen, für Menschenrechte und Demokratie aktiv zu werden.

 

Von Anetta Kahane

 

Nach den rechtsextremen Aufmärschen in Chemnitz, die den Todschlag eines Mannes durch einen Flüchtling für ihre inszenierte „Wut“ missbrauchten, macht sich eine große Ratlosigkeit breit. Viele Engagierte sind verunsichert, manche wanken in ihren Haltungen, einige fragen sich, wie sie unter diesen Umständen weitermachen sollen. Die Rechten träumen derweil vom Umsturz. Sie vereinigen sich mit den waschechten Nazis, schreien ihre Gewaltfantasien lauthals durch die Straßen und die sozialen Medien. Dazwischen irren sogenannte „normale“ oder „besorgte“ Bürger umher, verkünden ihre Ressentiments und Rassismen in jede Kamera und beschuldigen wer-weiß-wen für alles, was ihnen je widerfahren ist. Die Reaktion der Landesregierung ist schwach bis vage, sie zeigt jedenfalls weit mehr Verständnis für jeglichen Rassismus als dass sie deren Betroffene zu schützen bereit ist. So sieht es gerade aus.

 

Nicht verhandelbar

Über viele Jahre wurde der Boden bereitet für das, was sich jetzt an Gewalt und Hass äußert. Rassismus und Antisemitismus brutal zu übersehen, rechte Strukturen zu ignorieren, Nazis als „unsere Jungs“ zu verharmlosen und alle Demokraten, die daran Anstoß fanden, als linksextrem zu diffamieren, das ist Alltag in dieser Region der Welt. So lange und so sehr, dass heute der Ungeist offen rechtsextremen Denkens und Handelns kaum noch in die Flasche zurückzuholen ist. Da, wo die Norm sich derart verschiebt, erscheinen Aussagen und Forderungen verhandelbar, die es in weniger rechtsextrem aufgeladenen Gegenden unter keinen Umständen wären. Nach den Naziaufmärschen in Chemnitz aber braucht es wieder Klarheit.

An einer Stelle der Stadt haben demokratische Gegendemonstranten eine Barriere aus aufgestellten Exemplaren des Grundgesetzes errichtet. Ein Symbol, gewiss. Dennoch ist das genau das die richtige Antwort. In der Verfassung sind die Grundrechte und die Menschenrechte unter keinen Umständen verhandelbar. Sie alle sind dort klar aufgeschrieben. Daran gibt es keinen Millimeter Abstriche. Gleichwertigkeit jeder Person, grundlegende Würde, Gleichberechtigung, Diskriminierungsverbot – um nur einige zu nennen. Hieran ist nichts zu verhandeln. Jeder Mensch hat Rechte, die von der Verfassung geschützt werden, ob er  nun deutscher Staatsbürgerin ist oder nicht. Und dieser Schutz, so wie die Strafverfolgung im Falle einer Straftat, obliegt dem Staat. Niemandem sonst. Rassismus ist nicht hinnehmbar, nicht entschuldbar, nicht nachvollziehbar. Es kann nicht sein, dass Deutsche mit Verweis auf irgendein soziales oder sonstiges Problem, quasi automatisch mit Rassismus reagieren und das auch noch als legitim hingenommen wird.

Das Muster erklärt sich aus den Geschichtsbüchern über die Wahlerfolge der NSdAP 1933. Es hieß, die Arbeitslosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise hätte eben die Nazis hervorgebracht. Diese dumme und verkürzte Rechtfertigung wirkt bis in die Gegenwart. In den 1990er Jahren lautete die Argumentation genauso. Damals war es auch die Arbeitslosigkeit, die den Hass auf „Nichtdeutschaussehende“ begründete, dann war es die Globalisierungsangst, dann die Flüchtlinge, dann die Diskussion um Rassismus, dann das „Sachsenbashing“ oder sonst irgendwas. Alles nach dem Motto: „Kein Wunder, wenn dadurch der Hass noch wächst!“ Inzwischen trifft der Hass die Demokratie selbst, ihre Vertreter und alle, die das Grundgesetzt hochhalten oder es als Barriere gegen Nazis auf die Straße stellen. Das ist frustrierend, beängstigend, ein Kampf gegen Windmühlen im Alltag der Initiativen. Doch nicht verhandelbar. Nicht verhandelbar!

 

Was neu ist

Die Bilder aus Chemnitz haben eines deutlich gemacht: Wir haben es seit diesen Aufmärschen mit einer neuen, vereinigten Rechten zu tun. Das ist neu. Das ist gefährlich. Und das hat eine Vorgeschichte.

Wer genau hingeschaut hat, wie sich die rechtsextreme Szene seit der Wende entwickelte, konnte ihre Spezifik im Osten gut erkennen. Gewiss, es gab auch Neo-Nazis im Westen, die nach der Maueröffnung mit den Ost-Nazis schneller zusammenfanden und die „Einheit vollendeten“, als es die Demokraten je konnten. Dennoch blieb die ostdeutsche Spezifik der Naziszene bestehen. Sie glichen mehr den nationalrevolutionären Bewegungen in Osteuropa als den Wehrsportgruppen irgendwo im tiefen Westen oder gar den Nazi-Opas der alten NPD. Der Geist der Nationalrevolutionäre war und ist nicht eine Sekunde am System orientiert, er will den totalen Umsturz, den nationalen Sozialismus. Diese ostdeutsche Bewegung organisierte sich in Kameradschaften, deren Ziel es war, eine kulturelle Hegemonie in das Nachwendevakuum zu tragen. Ganze Regionen wurden dadurch geprägt, Jugendliche sozialisiert, durch Gewalt Ausländer ferngehalten. Gesellschaft und Staat zeigten sich über ein Jahrzehnt hilflos oder weigerten sich, darin mehr zu sehen als ein Jugendproblem.

Diese informellen Strukturen wurden so erfolgreich, dass die NPD, die Partei der Altnazis und ihrer Kindeskinder, hier eine Chance sah. Die Nationalrevolutionäre im Osten boten ihnen ein Potential und eine Ideologie, wie weit radikaler war als ihre rechtsaußen Ideologie, die sich aber immer noch am Bürgerlichen orientierte. Man trug Hirschhornknöpfe am Lodenmantel und nicht Glatze in Kombination mit Totenkopf, Che Guevara-Shirt und Pali-Tuch. Nachdem sich die alte NPD nach langen Diskussionen entschlossen hatte, mit den Kameradschaften gemeinsam zu Wahlen auf Landes- und Kommunalebene anzutreten, färbte auch dies auf das Bürgerliche ab. Die Furcht vor der Unberechenbarkeit der neuen, radikalen und militanten Kameradschaften ließ nach - und trotz aller Konflikte entstand die Idee einer gemeinsamen rechten Strategie.

Dass die NPD für viele nicht wählbar erschien, änderte nichts am Erfolg der Idee. Während in Westeuropa nach und nach sogenannte Rechtspopulisten den Ton der Debatten prägten und Wahlerfolge hatten, blieb Deutschland vorerst ruhig. Deutschland stand zwischen dem nationalrevolutionären Druck aus Osteuropa und dem bürgerlichen Rechtspopulismus aus Westeuropa. Die NPD war jedoch nicht die Partei, die in Deutschland diese beiden Strömungen hätte zusammenbringen können. Dies ging mit Deutschlands Vorgeschichte nicht. Ebenso wenig konnten andere Parteien diese Rolle spielen. Ja, sie sahen nicht einmal, welche Gefahr auf sie zukam. Keine der demokratischen Parteien war bereit, das Ost-West Problem zu erkennen und anzuerkennen. Der Widerstand gegen eine solche Debatte hält ja bis heute an. Die Warnungen aus der Zivilgesellschaft standen den tagespolitischen Antworten im Wege. Auch wenn viele dieser tagespolitischen Maßnahmen gut und nützlich waren, griffen sie weder analytisch noch praktisch das Ost-West-Thema auf.

Dann erschien die AfD. Ihr Weg von der europakritischen Professorenpartei zur radikalen Sammlungsbewegung für rassistische und flüchtlingsfeindliche Einstellungen war kurz. In nur wenigen Jahren bewegte sie sich nach rechts, überwand Berührungsängste mit Rechtsextremen, ließ ab von strategischen Abgrenzungen gegenüber Pegida um schließlich - wie nun in Chemnitz zu sehen war – übergangslos mit offen rechtsextremen Gruppen zu kooperieren. Das ist ein historischer Moment. In Chemnitz hat sich gezeigt, was wir stets befürchtet haben. Bürgerliche Rechtspopulisten und radikale Nationalrevolutionäre haben zusammengefunden. Das hat auch eine Symbolwirkung für Europa. Hier vereinigen sich jene Kräfte, die zumindest zeitweise kooperieren. Ihr Ziel ist ein illiberales Europa mit allen Implikationen, die das bedeutet. Weniger Demokratie, mehr Kontrolle, weniger Gleichberechtigung, weniger Menschen- und Minderheitenrechte, mehr Homogenität, mehr Identitäres in Kultur und Bildung statt Universalismus und das alles auf einer rassistisch geprägten Grundmelodie. Der Zusammenschluss des aus dem Konservativen hervorgegangenen Rechtspopulismus und des unverhohlenen Rechtsextremismus mit seinem nationalrevolutionären Ursprung ist in der AfD denkbar geworden. Und wurde sichtbar auf den Straßen von Chemnitz.

Was wir beschreiben können

Noch ist diese Entwicklung nicht in der Tagesanalyse angekommen. Wir beschreiben die Situation in Sachen, anhand dessen, was wir täglich beobachten, denn nur so erklärt sich, was nun sichtbar geworden ist. Wir können erzählen, wie alles so geworden ist. Seit der Wende gibt es diese Berichte. Es gab sie sogar schon davor. Und es geht auch noch weiter zurück: dort, wo die Nationalsozialisten als Erstes gewonnen, gejubelt und gebrandschatzt haben, sind auch heute noch die Hochburgen der braunen Gesinnung. Das ist übrigens nicht nur in Sachsen so, sondern überall im Osten. Und wer sich an dieser Stelle aufregt über die Nennung des Ostens, bitte hört auf damit. Es bringt nichts, diesen Umstand zu leugnen. Das Verleugnen, Verdrängen oder gar die Konkurrenz nach dem Motto „im Westen ist es genauso schlimm“ ist Teil des Problems. Der Osten ist anders. Daran ändert weder Lokalpatriotismus etwas noch Volksverräter-Geschrei noch die Herablassung mancher Wessis, die in den Nazis nur eine Art Ostfolklore sehen können oder gar – wie bei vielen Wagenknechtlinken – eine mediengesteuerte Ablenkung von der großen, sozialen Frage. Und die freilich nur für Deutsche. Dass es im Osten mehr Rassismus gibt, ist eine Tatsache und auf die braucht es Antworten und keine Relativierung.

Wir können auch andere Aspekte erklären. Wie beispielsweise die sozialen Medien die Hetze erleichtert haben. Wir können nachweisen, wie die neue Rechte Themen besetzt, geframt und in den Mainstream gepeitscht hat. Wir konnten beobachten, wie hilflos die Medien reagiert haben, wie sehr es zu unser aller Schaden war, dass die Kapazitäten in punkto Recherche in allen Leitmedien zunächst abgebaut worden waren. Das wenigstens ändert sich gerade wieder. Doch was noch schlimmer ist: wir mussten mitansehen, wie in Talkshows und Interviews die Rechten unwidersprochen blieben, wo gezielte, kenntnisreiche, und kluge Nachfragen nötig gewesen wären. Die hohe Kunst der ernsthaften Debatte konnte man im Umgang mit den Rechten bedauerlicherweise nur selten erleben. Dass die Rechte so Interpretations- und Stimmungshoheit gewann, ist eine der Folgen dieser mangelnden Kultur kritischer Streitkultur und Nachfrage.

 

Verdrängen hat noch nie geholfen

Wir können eines grundsätzlich sagen: Es hat noch nie, nie, niemals geholfen, Probleme oder Traumata zu verdrängen. Gewiss versuchen Menschen immer wieder, ihre Konflikte durch Verdrängung zu lösen. Doch wir wissen aus der Geschichte und der Sozialpsychologie, dass dadurch nur andere aggressive Muster entstehen, dass die Konflikte verschoben werden oder an den falschen Stellen aufbrechen. Aus Verdrängung und Verleugnung entstehen schwere Deformationen. Eines sind die in jedem Fall: eine Flucht aus der Verantwortung. Die ostdeutsche Gesellschaft ist bei allem Respekt für die vielen Ausnahmen in großen Teilen stark von dem infantilen Trieb gesteuert, immer anderen die Schuld für die eigene Situation, für eigenes Handeln oder Versagen zu geben. Wer ist schuld an der Lage in Chemnitz oder anderswo? Die Presse, Frau Merkel, das Sachsenbashing, der Westen insgesamt und natürlich die Flüchtlinge. Nein, eigentlich alle Migranten. Oder noch krasser: die Tatsache, dass es überhaupt Migranten in Sachsen und in Deutschland gibt.

Die aufgebrachten Bürger gehören einer Generation an, die gewiss viel mitgemacht hat, aber es sind nicht die ganz Armen. Es sind die Kleinbürger mit ihrem Sozialneid, mit dem herzlichen Wunsch nach Ruhe und Ordnung, der schon dadurch gestört wird, dass nach 22 Uhr noch Kaffeehauslärm zu hören ist. Die gleiche Wut gilt allen, die sich nicht „anständig“ zu benehmen wissen, umso schlimmer wenn die auch noch eine Hautfarbe haben, die nicht in die Norm dieser Wutbürger passt. Und so lautstark sich diese Leute gegen Pauschalisierung verwahren (übrigens eines der ersten gut gelernten Fremdwörter nach der Wende), so hysterisch verteidigen sie ihr Recht auf Stereotypisierung mit eingeschlossenem Rassismus gegen alle anderen. Nichts tun, nur ein großes „weg damit“, ob nun Frau Merkel gemeint ist oder alle, die wie Migranten aussehen. Sonst nichts. Das ist infantil.

Sachsen ist hier ein ganz besonderer Vorreiter in Sachen Schuldige suchen und Verdrängen, denn bereits Kurt Biedenkopf hatte den Sachsen bescheinigt, dass sie gegen Rechtsextremismus immun seien. Er behauptete das umso hartnäckiger, je häufiger die Realität ihn eines Besseren hätte belehren müssen. Er gab das Muster vor und wer dem in den Jahren danach nicht folgen mochte, hatte kaum eine Chance auf eine politische Karriere im Freistaat. Leugnen, verdrängen und das auf Kosten derer, die Opfer von Rassismus wurden. Mit der DDR-Vorgeschichte wurde ähnlich verfahren. Der Nationalsozialismus und die DDR im Vergleich mündeten in der Formel Braun gleich Rot ohne jeden Kontext. So wurde man gleich beide Menetekel los, die NS-Vorgeschichte in Sachsen und ihre ambivalente Verwandlung im nachfolgenden Sozialismus, der zwar antifaschistisch sein wollte, am Ende aber genau daran scheitern musste. Denn ja, es gab Nazis in der DDR. Integrierte Mitläufer in den Parteistrukturen, einige Verurteilte in den Gefängnissen und dann noch die echten Neonazis in den Jugendclubs, einigen Strukturen wie der GST und die auf der Straße. Sie waren es, die schon zu DDR-Zeiten Ausländer jagten. Soweit es möglich war, sind heute etliche Morde durch Nazis dokumentiert. Immer wieder wunderlich, wie sehr es die Menschen verwunderte, als nach der Wende „plötzlich“ die Nazis überall auftauchten. Nein, verdrängen hilft nicht. Nicht den NS, nicht die DDR, nicht die Wendemythen.

 

Die DDR mit anderen Mitteln

Machen wir uns nichts vor, die Zahl derjenigen in der DDR, die wirklich antifaschistisch dachten, war denkbar klein. Zu ihnen gehörte die Handvoll Widerstandskämpfer, die aus dem Exil nach Deutschland zurückkamen, um hier den Sozialismus aufzubauen. Es waren nur wenige. Und dann gab es noch diejenigen, die tatsächlich antifaschistisch sozialisiert wurden und guten Herzens an Besserung glaubten. Sie lasen Christa Wolfs Bücher und manche hörten heimlich Biermann. Sie wollten, dass es funktioniert, doch auch hier sahen viele über die Widersprüche hinweg. Der DDR-Gesellschaft, hervorgegangen aus der gleichen schrecklichen deutschen Geschichte, wurde mit Verweis auf den Klassenkampf jegliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung erlassen. Verdrängen, verleugnen. Auch hier. Und der Freistaat hat dies bis heute fortgesetzt. Auf dieser Ebene verhält er sich wie die DDR mit anderen Mitteln.

Wir können auch beschreiben, was alles getan wurde, um die zivile Gesellschaft gegen das Unzivile zu stärken. Hunderte Initiativen arbeiten in Sachsen. Wir sind bei ihnen, unterstützen sie, so gut es geht, ermutigen sie, auch von der Landesregierung ausreichend respektiert und gefördert zu werden. Sie alle arbeiten tapfer gegen den Rassismus an, versuchen es mit Begegnung und Aufklärung, mit Projekten in der Jugendarbeit, der Kunst, der allgemeinen Öffentlichkeit und in den Schulen, dem wichtigsten Ort überhaupt. Die Zivilgesellschaft ist gut entwickelt in Sachsen. Aber reicht deren Schwungmasse, um den Diskurs umzusteuern? Reicht ihre Kraft und ihr Einfluss um vor Ort der Verrohung entgegenzuwirken? Was können wir tun, damit wir darauf nicht mit einem traurigen Nein antworten müssen? Es gibt Orte und Gelegenheiten, wo diese engagierten Bürger Erfolg haben. Deswegen werden wir diese Initiativen immer unterstützen. Wir werden mehr über ihre Erfolge berichten, denn in der Tat kommt diese Erzählung auch bei uns zu kurz. Das müssen wir ändern.

 

Politische Analysen stehen aus

Und es gibt noch andere Dinge, die wir besser ändern, als sie fortlaufend nur zu beschreiben. Und die haben nicht so sehr mit dem Osten zu tun. Hier geht es um zwei Dinge: die Einwanderungspolitik und die Bildungspolitik. Die Einwanderungspolitik ist eine Schande. Deutschland hat es noch immer nicht geschafft, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Dass die Stimmung gegen Einwanderer so vergiftet ist, liegt auch daran, dass Einwanderungsfragen mit Flüchtlingsfragen immer vermischt werden. Wenn Politik sich an Stammtischparolen orientiert und findet, dass Flüchtlinge besonders schlecht behandelt werden müssen, weil sie dadurch von der Flucht abgeschreckt würden, führt das dazu, dass nicht nur Flüchtlinge schlecht behandelt werden - und das führt wiederum dazu, das alle schlecht Behandelten zumindest einen weiteren Grund haben, sich auch schlecht zu benehmen. Die Stimmen aus Chemnitz sagen, sie wollen gar keine Ausländer. Dort wird nicht von Flüchtlingen geredet, sondern von allen Menschen, die den Sachsen nicht gefallen. Das ist rassistisch, aber eben auch eine gesamtdeutsche Tradition. Immer wenn Flüchtlinge derart politisch missbraucht werden, geht der Rassismus durch die Decke.

Rassismus darf aber keine Entschuldigung dafür sein, die Probleme der Einwanderungsgesellschaft zu ignorieren. Denn auch das wäre Verdrängung. Die Einwanderungsgesellschaft ist anstrengend. Wir hätten es leichter haben können, wenn einige der Weichenstellungen früher und besser getroffen worden wären. Als die „Gastarbeiter“ blieben und Einwanderung begann, wurde auch aus Gründen der Abwehr nicht genug getan, um sie und ihre Kinder offensiver zu erfolgreichen Bürgern in Deutschland zu machen. Jahrzehnte lavierten die Kultusminister an der Frage herum, ob und wie in die Kinder aus Einwandererfamilien investiert werden soll. Mancherorts ging etwas, an anderen Stellen nicht, aber ein großes Konzept hat gefehlt, weil Einwanderung zwar notwendig, aber nicht gewollt war. Das Diskriminierungsverbot ließ in Deutschland auch sehr, sehr lange auf sich warten. Bis dahin als es 2012 endlich verabschiedet wurde, war der sogenannte Alltagsrassismus längst zu einer Struktur geworden.

Wie kann es sein, dass in Deutschland zugesehen wurde, wie sich hier eine ethnische Schichtung entwickelt? Heute ist sie Realität: die meisten der Armen in Deutschland finden wir in migrantischen Milieus. Und das kumuliert in der Frage der Bildung. Das Schulsystem in Deutschland ist eine Schande. Hier wird viel zu wenig investiert, zu wenig in den Regelbetrieb und noch viel weniger in die soziale Durchlässigkeit. Dass Kinder aus Migrantenfamilien darüber hinaus noch mehr Unterstützung brauchen, ist hier nicht einmal eingerechnet. Kein Kind zurücklassen! Egal welcher Herkunft. Das ist das Motto der Initiative des „Quadratkilometers Bildung“, die es an vielen Orten bereits gibt. Ein Beispiel, wie es gehen kann. Wir wissen doch, wie es geht. Kinder brauchen Ermutigung und gute Schulen, sie brauchen Sprachkenntnisse und einen Blick auf ihre individuellen Bedürfnisse. Dann schaffen sie es, dann blühen sie auf, dann machen sie Abitur und können sozial aufsteigen. Alles keine Zauberei! Aber es muss gewollt werden.

Jugendliche, die nichts zu tun haben, als in ihren Wohnheimen oder auf der Straße abzuhängen, machen die blödesten und mitunter schlimmsten Sachen. Besonders, wenn ie mit den Belastungen einer Fluchterfahrung aus Syrien oder dem Irak kommen. Und ja, viele von ihnen sind von einem Menschenbild geprägt, dass keineswegs von Gleichwertigkeit geprägt ist. Da hilft auch der Hinweis darauf nichts, dass viele Sachsen oder viele Deutsche ebenso wenig die Gleichwertigkeit aller Menschen in ihren Herzen tragen. Das aufzurechnen führt nicht weiter. Besser wäre es, ihnen einen Job oder eine Ausbildung zu geben. Sich kümmern heißt, es anpacken, nicht verharmlosen, in die eine oder andere Richtung. Entweder wir wünschen uns eine Gesellschaft, die den Geist des Grundgesetzes wirklich mit Leben erfüllt, dann muss das für alle gelten. Oder wir fahren darin fort, immer nur weiter zu beschreiben, wie schlimm alles ist.

 

Was tun?

Was zu tun ist? Wir brauchen eine echte Agenda und nicht nur Erregungszustände. Darin enthalten sein müssen strukturelle politische Forderungen z.B. die nach einem guten Einwanderungsgesetz. Wir brauchen endlich eine Bildungspolitik, die einem Land wie Deutschland auch entspricht und weit besser ist, als das, was wir heute haben. Wir brauchen ein aktives Gegensteuern gegen soziale Undurchlässigkeit in den Bildungssystemen und eine gezielte Förderung von Einwanderern, damit sie selbst ohne Quote mehr als bisher Teil des sichtbaren, öffentlichen Lebens in Deutschland werden. das wäre ein Anfang. Und wenn der Staat nicht handelt, brauchen wir noch mehr Initiative aus der Zivilgesellschaft. Der Staat bewegt sich nur, wenn es hier genug Beispiele gibt und genügend Menschen, die sich einsetzen. Das hat bei den LGBTIQ* auch funktioniert. Gleichzeitig muss Rassismus, Sexismus und Antisemitismus offensiver sanktioniert werden, Ächtung allein ist zu wenig. Das gilt ebenso für alle, egal welcher Herkunft. Denn wer betroffen ist von Ungleichwertigkeitsideologien, ist keineswegs á priori ein guter Mensch. Frauen können ebenso homophob sein wie Schwule Rassisten oder Juden Sexisten oder Muslime behindertenfeindlich. Oder alles anders herum. Die Tatsache, dass jemand einer diskriminierten Minderheit angehört, mag bei den Motiven eine Rolle spielen, nicht aber bei der Bewertung jeder einzelnen Tat.

In all diesen Bereichen sollten wir uns auch verstärkt juristischen Rat holen und gegebenenfalls klagen. Alle Rechtsmittel sollten wir nutzen. Verwaltungsrecht, Strafrecht, Zivilrecht – dafür ist der Rechtsstaat da. Wo Unrecht geschieht, muss das Recht zur Geltung kommen. Dieser Weg wird von den Demokraten noch zu wenig genutzt. Die Erfahrung zeigt, dass es mit diesem Instrument gelingt, eine Beißhemmung von Rechten zu erreichen. Und sie zeigt, dass auch Verwaltungen reagieren, wenn ihnen Fehler oder Fehlverhalten nachgewiesen werden können. Solche Schritte sind mühsam, aber sie sind ebenso wichtig wie der Umgang mit den Medien. Manchmal braucht es die Medien, manchmal einen Anwalt. Und manchmal beides gleichzeitig. Die Wehrhaftigkeit der Demokraten ist längst nicht auf dem Niveau, die der Grad und die Qualität der Auseinandersetzung um die Substanz der Demokratie erfordert.

Auch das ist eine wichtige Forderung, die wir an uns selbst, die Justiz und die Öffentlichkeit stellen sollten. Dazu gehört in jedem Fall der Kontext und die Verhältnismäßigkeit in der Debatte darum. Ein ideologischer Missbrauch lässt sich nur verhindern, wenn wir immer genau sind. Wir können nur überzeugend sein, wenn wir diese Verhältnismäßigkeit selbst leben und uns für sie einsetzen. Und wir müssen unsere Geschichten nach vorne bringen. Die guten Storys, die Erfolgsgeschichten brauchen mehr Platz und wir müssen sie kennen. Denn es gibt sie alle. Mit anderen Worten: statt nur zu beschreiben, sollten wir präziser handeln. Denn alles ist besser als zu verharren. Wir sollten den Drachen zu reiten, als ihn nur von Ferne zu beschreiben und dann nur noch mehr zu fürchten.

 

Mehr zu Chemnitz auf Belltower.News:

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Gegendarstellung: Ja, wir finden den Schutz Engagierter wichtiger als Debatten mit Rechtsaußen

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https://www.dhmd.de/veranstaltungen/tagung-die-neue-mitte/

Bei der Tagung „Die neue Mitte? Rechte Ideologien und Bewegungen in Europa“ vom 17. bis 19. September 2018 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden hat Belltower.News-Chefredakteurin Simone Rafael eine extrem rechte Provokteurin aus ihrem Workshop ausgeschlossen. Die rechte Sphäre raunt: Angst vor der Debatte? Wir können spoilern: Nein, das ist es nicht.

 

Gegendarstellung der Amadeu Antonio Stiftung

 

Bei der Tagung „Die neue Mitte? Rechte Ideologien und Bewegungen in Europa“ vom 17. bis 19. September 2018 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, war die Amadeu Antonio Stiftung eingeladen, ihr Expert*innen-Wissen in verschiedenen Panels einfließen zu lassen.

Die Tagung wurde veranstaltet von vielen wissenschaftlich renommierten Trägern (s.u.) und war angekündigt als „Angebot aus Vorträgen und Workshops“, die sich „vor allem an jene [richtet], die in ihren beruflichen und privaten Kontexten mit diesen Herausforderungen konfrontiert werden. Auf der Tagung erhalten sie Hintergrundinformationen zu den einzelnen Akteuren und Strukturen und lernen Strategien für ihre tägliche Arbeit kennen.“ In der Einladung war auch eine Ausschlussklausel gegen rechtsextreme Akteur*innen enthalten, die gegebenenfalls der Veranstaltung verwiesen werden könnten.

Allerdings ist es immer eine Ermessensfrage, wer ein rechtsextremer Akteur ist, und die stellt sich offenbar umso mehr in Sachsen. Hier wirkt „Pegida“ seit 2014, und die rechtspopulistische bis rechtsextreme Szene versucht mit zahlreichen Repressionsstrategien, Angst bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftler*innen, Pädagog*innen und Medien zu erzeugen.

Umso wichtiger erscheint uns  der Moment der Stärkung dieser zivilgesellschaftlichen Strukturen, die sich gegen Menschenfeindlichkeit in Sachsen engagieren. Und das heißt konkret, einen geschützten Raum zum Austausch zu bieten. So ein Raum ist nur möglich, wenn keine Vertreter*innen der extremen Rechten anwesend sind. Denn die sind nie anwesend, um zuzuhören und sich auszutauschen, sondern entweder, um sofort den Diskurs der Demokrat*innen zu beeinflussen – oder später das Gehörte gegen die Anwesenden zu verwenden.

 

Durch die Ereignisse in Dresden fühlen wir uns in dieser Einschätzung bestätigt.

 

Zu einem Workshop am Mittwoch, den 19.09.2018, zum Thema „Echokammern und Filterblasen: Vernetzung über Social Media“, hatte sich Susanne Dagen angemeldet, Dresdner Buchhändlerin des „Buch- und Kulturhaus Loschwitz“, der lange Zeit „Pegida“-Nähe nachgesagt wurde und die 2017 nach der Frankfurter Buchmesse mit einer „Charta 2017“ im Namen der Meinungsfreiheit für den rechsextremen Antaios-Verlag in die Bresche sprang. Aufgrund dieser Nähe zu extrem rechten Bewegungen darf angezweifelt werden darf, dass Dagen Rechtspopulismus als „Herausforderung“ definiert hätte, mit der sie „konfrontiert werde“.

Seit 2017 hat Dagen allerdings jedwede Berührungsängste gegenüber der rechtsextremen Szene fallen lassen: Sie lässt sich etwa in rechtsextremen „alternativen“ Medien wie dem Compact-Magazin interviewen und von der rechten Sammlungsbewegung „Ein Prozent“. Inzwischen sind die Verbindungen zur offen rechtsextremen Szene institutionalisiert: Gemeinsam mit dem weiblichen Gesicht  der rechtsextremen, selbst ernannten „Neuen Rechten“, Ellen Kositza (Ehefrau von Götz Kubitschek, u.a. Antaios-Verlag, Institut für Staatspolitik, Sezession), moderiert Susanne Dagen ein Literatur-Magazin auf YouTube namens „Aufgeblättert. Zugeschlagen. Mit Rechten lesen.“

Wer mit rechtsextremen Vordenkern wie Ellen Kositza genug Gemeinsamkeiten sieht, um Kooperationsprojekte umzusetzen, macht damit seine Nähe zur rechtsextremen Gesinnung und seine Verachtung für die Demokratie und Menschenrechten deutlich. Teilnehmende des Workshops, darunter People of Color, äußerten, dass sie die Teilnahme Dagens unter Druck setze und sie Hemmungen hätten, sich dann frei zu äußern. Auf dieser Grundlage wurde Susanne Dagen von Workshop-Leiterin Simone Rafael vor der Tür freundlich und bestimmt gebeten, von einer Teilnahme abzusehen, weil für uns der Schutz von Engagierten auf einer Tagung, die für diese Zielgruppe konzipiert war, Vorrang hat. Susanne Dagen behielt sich daraufhin vor, sich beim Veranstalter zu beschweren, was ihr freigestellt wurde. Der Workshop wurde daraufhin in einer konstruktiven Atmosphäre abgehalten.

Interessant allerdings: Dagen wurde offenbar von einem Mann namens Michael Kunze begleitet, der sofort vom Ausschluss twitterte und kurz darauf einen Artikel darüber im Online-Portal der „Sächsischen Zeitung“ veröffentlichte. Dabei verwendete er in der rechten Sphäre beliebte Formulierungen über die Amadeu Antonio Stiftung wie „für die bis in bürgerliche Kreise umstrittene Amadeu-Antonio-Stiftung“ oder „Stiftungsgründerin Anette Kahane steht seit Jahren in der Kritik, da sie für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat“.

Das legt die Vermutung nahe, dass Dagen sich der Provokation ihrer Tagungsteilnahme  bewusst war und mit medialer Begleitung auf eine Gelegenheit gewartet hat, dies als angeblichen Angriff auf die Meinungsfreiheit und mangelnde Diskursbereitschaft demokratischer Strukturen zu nutzen. Wie gut das funktioniert, lässt sich derzeit in der rechten Sphäre etwa auf Twitter und Facebook beobachten, wo diverse auch prominente Akteure dieser Szene den Spielball gern aufnehmen, um eine demokratische Institution wie die Amadeu Antonio Stiftung zu verunglimpfen. Dabei bleibt es nicht bei Hasstiraden in Sozialen Netzwerken, es gibt etwa auch Aufrufe, Fördermittelgeber zu bestürmen, nicht mehr mit uns zusammenzuarbeiten. Wir kennen diese Taktiken bereits von früheren Gelegenheiten (mehr dazu in Kürze auf Belltower.News).

Warum bis zum dritten Tag der Veranstaltung keiner der Referent*innen und Veranstalter*innen einen Grund sah, Susanne Dagen auszuschließen, können wir nicht beantworten. Dass dabei zumindest bei einigen die Angst vor genau so einem Shitstorm mitspielt, lässt sich vermuten. Unsere Solidarität gilt daher den Menschen, die tagtäglich in Sachsen für Demokratie arbeiten!

Zur Motivation der Referentin Simone Rafael sei noch gesagt: Es geht nicht um eine mangelnde Bereitschaft, mit Rechten zu diskutieren – das tut Rafael, wenn es nötig ist, online und offline seit vielen Jahren. Es geht darum, Menschen zu schützen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Sie brauchen Räume, in denen Sie sich vernetzen, austauschen und stärken können für die kräftezehrende Alltagsarbeit für Demokratie, in Sachsen und überall.

Wir nehmen nach der Tagung in Dresden zur Kenntnis, dass dies sogar bei entsprechend ausgelegten Fachtagungen offenbar nicht mehr Konsens ist. Diese Entwicklung empfinden wir als gefährlich für die demokratische Kultur und demokratische Strukturen vor Ort.

 

 

Veranstalter der Tagung waren das Deutschen Hygiene Museum Dresden in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Mercator Forum Migration und Demokratie an der TU Dresden, dem Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden, dem TRAWOS-Institut der Hochschule Zittau/Görlitz, dem Kulturbüro Sachsen e.V. und der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen.

 

Im Einladungstext heißt es im Wortlaut:

„Mit einem breiten Angebot aus Vorträgen und Workshops richtet sich die Tagung vor allem an jene, die in ihren beruflichen und privaten Kontexten mit diesen Herausforderungen konfrontiert werden. Auf der Tagung erhalten sie Hintergrundinformationen zu den einzelnen Akteuren und Strukturen und lernen Strategien für ihre tägliche Arbeit kennen. Die Tagung ist im sächsischen Fortbildungs-Onlinekatalog für Pädagog*innen unter der Veranstaltungsnummer EXT04294 als Fortbildung ausgewiesen.“

 

Belege für die Angaben im Text

(Wir verlinken ausnahmsweise auf die extrem rechten Originalquellen):

 
Text: Simone Rafael

Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Und dann doch: Antaios auf der Buchmesse - als Loci-Verlag

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Aus Raider wird Twix und aus Antaios wird Loci. Jetzt auf der Frankfurter Buchmesse.
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Götz Kubitschek, Vordenker und fast so etwas wie ein Popstar der sogenannten „Neuen Rechten“, beweist auf der Frankfurter Buchmesse seine Fähigkeiten im Real-Life-Trolling: Letztes Jahr durch Einladung von Rechtsextremen auf der Buchmesse für Tumult gesorgt. In diesem Jahr: Desinteresse suggeriert – und jetzt durch eine Verlags-Scharade doch präsent und auch noch der rechten Sackgasse entkommen.

 

Von Robert Wagner

 

Am Mittwoch, dem 10. Oktober 2018, pünktlich zur Eröffnung des Publikumsverkehrs auf der Frankfurter Buchmesse, geht es überraschend durch die Medien: Götz Kubitschek, DER Vordenker der sogenannten Neuen Rechten im deutschsprachigen Raum, soll seinen „Verlag Antaios“ verkauft haben. Mit dieser Aktion wird der bekannteste rechtsextreme Verlag, der letztes Jahr wegen Tumulten im Rahmen seiner Veranstaltungen durch die Medien ging und für dieses Jahr nicht auf der Teilnehmerliste stand, nun doch auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sein.

In der Ausgabe der FAZ vom 10. Oktober berichtet AfD-Experte Justus Bender,  dass der Verleger Götz Kubitschek seinen Verlag „Antaios“ verkauft habe und nun eine Karriere als politischer Berater anstrebe. Diese Meldung wird noch am selben Tag von Kubitschek selbst per Pressemitteilung im Internet und auf der Buchmesse untermauert. Die Nachricht platzt in die öffentliche Debatte um den Umgang mit Rechtsaußen-Verlagen, die nach dem Skandal des vergangenen Jahres die diesjährige Frankfurter Buchmesse von Beginn an prägte. Nach den tumultartigen Szenen im Vorjahr sollten in diesem Jahr zumindest die klar rechtsextremen Verlage an einem abseits gelegenen Standort separiert werden. Der „Verlag Antaios“ signalisierte Desinteresse, meldete sich nicht an. Nun aber, und das ist der Coup am überraschenden „Verlagsverkauf“ -, ist Antaios oder zumindest Götz Kubitschek und Ellen Kositza nun doch dabei. Der angegebenen Käufer heißt „Loci-Verlag“ und steht mitten auf dem Buchmessen-Gelände, weit weg von der „rechten Ecke“ – und die „Neue Rechte“ feiert.

 

Thomas Veigel (rechts) am Stand des Loci-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse 2018

 

Der 2000 gegründete Antaios-Verlag mit Sitz im thüringischen Schnellroda ist das bekannteste Verlagshaus im rechtsextremen Spektrum, das mit der „Sezession“ ein wichtiges Mitteilungsblatt zur neurechten Ideenbildung herausgibt. Der Verlag wie auch das ebenfalls in Schnellroda ansässige und von Götz Kubitschek mitgegründete „Institut für Staatspolitik“ (IfS) gelten als das Zentrum eines neurechten Netzwerks, das von führenden Vertretern der extremen Rechten sozusagen als geistige Heimat und Ideologieschmiede betrachtet wird. Exponierte AfD-Politiker wie Björn Höcke oder Andreas Poggenburg und Kader der „Identitären Bewegung“ wie Martin Sellner oder Daniel Fiß gehen dort ein und aus. Besonders die Winter- und Sommerakademien erfreuen sich großer Beliebtheit im rechtsextremen Milieu. Das thüringische Schnellroda wurde so in den letzten Jahren, begünstigt durch den allgemeinen Rechtsruck, zu einer wichtigen Kaderschmiede für alle jene, die sich um die Eroberung der kulturellen Hegemonie von rechts bemühen und  sich selbst  als die „Neue Rechte“ bezeichnet werden. Eine bis dahin nicht gekannte öffentliche Aufmerksamkeit erfuhren Verlag und dahinter stehendes Personal mit dem Eklat auf der Frankfurter Buchmesse 2017, als eine Podiumsdiskussion, an der u. a. Björn Höcke, Götz Kubitschek und Martin Sellner teilnahmen, durch die Gegendemonstrant*innen gesprengt wurde. Der Status von Schnellroda als wichtigster rechtsextremer Denkfabrik befand sich seitdem auf einem Höhepunkt.

 

Dieser "Verkauf" ist Trolling auf der Buchmesse

Und nun der angebliche Verkauf des „Antaios“-Verlags, einer der Stützen dieser rechtsintellektuellen Kaderschmiede. Der Käufer soll Thomas Veigel sein, ein Zahnarzt aus dem baden-württembergischen Rheinau, der seit vielen Jahren in der Rechtsaußen-Szene unterwegs ist und eine einschlägige Vergangenheit hat: In den 1970er Jahren war er Mitglied des rechtsextremen „Hochschulrings Tübinger Studenten“, einer 1968 gegründeten antikommunistischen Vereinigung, die von Verbindungsstudenten getragen wurde. Damals tat er sich u. a. durch die Verharmlosung der Diktatur von Pinochet in Chile hervor, wo er auch längere Zeit lebte (vgl. BNR). 2015 wurde er zum Sprecher des AfD-Kreisverbandes Ortenau gewählt und hat erst im April 2018 den „Loci-Verlag“ gegründet. Als Imprint dieses Verlags soll laut Eigenangabe „Antaios“ nun fortbestehen und unter diesem Namen auch weiterhin Bücher publizieren. „Programmleiterin“ soll Kubitscheks Ehefrau und ebenfalls neurechte Autorin Ellen Kositza werden. Letzterer zieht sich laut eigener Aussage komplett aus dem Verlag zurück und will sich auf seine bisher rein informelle politische Beratertätigkeit konzentrieren, um Politiker*innen der AfD, aber auch der CDU an seiner „dreißigjährigen Erfahrung in einem rechtsintellektuellen Milieu“ teilhaben zu lassen.

Der „Loci-Verlag“, gegründet nach Eigenangabe im April 2018, hatte sich schon vor längerer Zeit zur Buchmesse angemeldet. Allerdings hat er noch kein einziges Buch veröffentlicht. Kein Wunder also, wenn sein Stand wird nun inhaltlich von „Antaios“ geprägt, wie aktuelle Bilder von der Messe bestätigen.

 

Was nach außen zunächst wie ein, wenn auch überraschender, aber doch gewöhnlicher betriebswirtschaftlicher Umstrukturierungsprozess wirkt, erweist sich bei näherer Betrachtung als sehr zweifelhafter Vorgang. Der neue Eigentümer, der erst wenige Monate alte „Loci-Verlag“, ist ein völlig unbeschriebenes Blatt, die dazugehörige dürftige Internetseite wirkt eilig zusammengeschustert. In seinem Programm werden gerade einmal vier Bücher aufgeführt, deren Veröffentlichung auf „später“ verschoben ist, darunter eine „Homestory“ über das Ehepaar Kubitschek/Kositza, die mit satirischen Insider-Witzen gespickt ist. Die anderen drei Titel behandeln die Erfahrungen migrantischer Deutscher und diie neurechte Youtube-Sendung über Literatur von Ellen Kositza und der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen. Die hat bisher auf gerade einmal vier Folgen gebracht hat. Zwei von vier angeblichen Titeln des Loci-Verlags sind also in unmittelbarer Zusammenarbeit mit dem Kreis um Götz Kubitschek entstanden.

Mindestens ebenso interessant in diesem Zusammenhang sind andere, weniger offensichtliche Details. So ist die Verlagsadresse identisch mit der Adresse der Zahnarztpraxis des neuen Verlegers und als offizielle Telefonnummer dient dessen Handy. Schwer vorstellbar, dass ein praktizierender Zahnarzt aus rein intellektuellem Interesse („Lese in jeder freien Minute Antaios-Bücher") einen zwar kleinen, aber gut laufenden Verlag mit vielen Mitarbeitern aufkauft, um sich dann zwischen zwei Wurzelbehandlungen als Verleger zu betätigen. Auch taucht sein Verlag laut NDR nicht im Handelsregister auf und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels listet ihn lediglich als unverbindliches „Schnupper-Mitglied“ auf, wie unsere Recherchen ergeben haben. Ist diese Verlagsgründung also eine Art Hobby eines bibliophilen Zahnarztes?

Es drängt sich ein anderer  Verdacht massiv auf: Hat Götz Kubitschek mit Hilfe eines finanzstarken und weltanschaulich sympathisierenden Freundes den Verkauf seines Verlags bloß inszeniert, um die Frankfurter Buchmesse bzw. den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Medien und die gesamte Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen? Zuzutrauen wäre es ihm und es sprechen noch einige andere Argumente für diese These.

Götz Kubitschek sitzt hinter dem Loci-Stand - und feiert mutmaßlich seinen Coup mit der rechten Netzgemeinde.

 

So erscheint es vor diesem Hintergrund plötzlich plausibel, warum die Öffentlichkeit im Vorfeld der Messe in dem Glauben gelassen wurde, der „Antaios“-Verlag würde dieses Jahr nicht teilnehmen. Durch den inszenierten Verkauf seines Verlags an einen bisher unbekannten Verleger entgeht Kubitschek einer Aussonderung durch die Messeleitung, wie sie die „Junge Freiheit“ erfahren hat, und befindet sich mit seinem Stand nun in Halle 4.1 mitten im Geschehen der Messe, gleich gegenüber der taz – im Gespräch mit der FAZ gibt er selbst zu, dass er „keinen Bock auf einen Katzentisch“ hatte.

Das überzeugendste Argument liefert Kubitschek jedoch selbst: In einem Interview, das er Ende September dem islamfeindlichen Internetmagazin pi-news.net gegeben hat, deutet er offen an, dass ein mögliches Mittel, der „Ungleichbehandlung“ durch die Messeleitung zu begegnen, „etwas Subversives“ zur Unterlaufung des Messekonzepts sein könnte – etwas Subversiveres als eine solche Inszenierung, die die Gründung eines eigenen Verlags einschließt, ist kaum vorstellbar.

Während es also durchaus glaubhaft ist, dass der Strippenzieher Kubitschek sich aus der unmittelbaren verlegerischen Tätigkeit zurückzieht – das IfS wird schon seit Längerem von seinen Zöglingen Benedikt Kaiser und Erik Lehnert geleitet -, um als Berater in die aktuelle Politik hineinzuwirken, ist der Verkauf von „Antaios“ wohl als das zu bezeichnen, was er bei näherer Betrachtung zu sein scheint: Eine von langer Hand vorbereitete Inszenierung, mit der er der Frankfurter Buchmesse ein Schnippchen schlägt, nebenbei Unruhe in der CDU stiftet und darüber hinaus die mediale Aufmerksamkeit von seinen neurechten Konkurrenten vom „Junge Freiheit Verlag“ ablenkt.

Wenn man dann noch bedenkt, dass der Name des ominösen neuen Verlags in klassischer Philologen-Manier wie „Loki“ ausgesprochen wird und dass dies auch der Name des altnordischen Gottes des Schabernacks ist, dürften sich auch die letzten Zweifel in Luft auflösen.

 

Ergänzung vom 16. Oktober 2018:

Wie Götz Kubitschek selbst in einer Mitteilung vom 15. Oktober 2018 bestätigt hat, handelte es sich tatsächlich um eine Inszenierung, die lediglich den Zweck hatte, Messeleitung und Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Er und seine Frau Ellen Kositza bleiben weiterhin alleinige Besitzer des „Verlags Antaios“ und Verantwortliche von dessen Programm. Ihr Verlag wird kein Imprint irgendeines anderen Verlags und eine politische Beratertätigkeit, die für besonders viel Medienecho gesorgt hatte, schließt Kubitschek für sich kategorisch aus.

Vgl. dazu https://www.mz-web.de/wirtschaft/-alles-nur-fake--goetz-kubitschek-behaelt-antaios-verlag-31444904

 

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Frankfurter Buchmesse 2018: Erneute Übernahme von rechtsaußen oder Gegenwind für Menschenfeindlichkeit?

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Stand der Amadeu Antonio Stiftung auf der Frankfurter Buchmesse 2018.
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Eine Zwischenbilanz aus Sicht der Zivilgesellschaft: Die Frankfurter Buchmesse 2017 stand im Zeichen einer „neurechten“ Raumergreifung. Zum ersten mal seit Jahren war der rechtsextreme Antaios-Verlag vertreten. Björn Höcke war dort zu Gast. Auch in diesem Jahr will er wiederkommen. Der Antaios-Stand diente als Anlaufpunkt für Vertreter*innen der gesamten sogenannten „neuen“ Rechten. Es kam zu Übergriffen und zu Bedrohungen gegenüber Besucher*innen und Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Institutionen wie der Bildungsstätte Anne Frank und der Amadeu Antonio Stiftung, zu der auch Belltower.News gehört. Aber auch in anderen Hallen war das Bedrohungsszenario spürbar. So wurde der mittlerweile verstorbene 74-jährige Trikont-Verleger Achim Bergmann von einem Besucher des Standes der „neurechten“ Wochenzeitung Junge Freiheit mit einem Faustschlag ins Gesicht niedergestreckt. 2018 sollte alles anders werden. Einige rechte Verlage wurden gebündelt in einer Halle platziert. Aber auch Antaios landete einen PR-Coup und muss sich nicht mit der „rechten Ecke“ zufrieden geben, sondern hat es geschafft mitten im Geschehen der Messe zu sein.

Zeit für eine Zwischenbilanz der Buchmesse 2018. Wir haben mit Eva Berendsen und Timo Reinfrank gesprochen. Berendsen leitet den Bereich Kommunikation der Bildungsstätte Anne Frank. Timo Reinfrank ist der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung.

Das Interview führte Stefan Lauer.

 

Belltower.News: Welche Lehren kann man aus den Auftritten rechter Verlage im vergangenen Jahr ziehen?

Timo Reinfrank: Die Buchmesse 2017 hat gezeigt, dass es der „neuen“ Rechten um Raumergreifung geht und darum, rechtsextreme Ideologie vor einem breitestmöglichen Publikum zu präsentieren. Dazu gehörte das Stören von Veranstaltungen oder Interviews, aber auch die permanent wiederholte Forderung danach,in den Mainstream zu tragen. Die Buchmesse wird zwar weiterhin keine Verlage ausschließen, aber will ihnen in diesem Jahr auch keine zusätzliche Bühne bieten. Das geht nur bedingt auf. Thilo Sarrazin konnte bereits am Mittwoch sein Buch auf einer Bühne präsentieren. Am heutigen Freitag wird das auch Björn Höcke tun.

 

Wie haben Sie die Situation auf der Buchmesse im letzten Jahr empfunden?

Eva Berendsen: Die Buchmesse im vergangenen Jahr hat wie unter einem Brennglas gezeigt, wie erfolgreich die Konzepte und Strategien der „neuen“ Rechten sein können, wenn es um Kommunikation, Mobilisierung und Raumnahme geht. Das hat die Bildungsstätte Anne Frank – wie die Amadeu Antonio Stiftung ja auch – ziemlich unmittelbar in der direkten Nachbarschaft des Antaios-Verlags erfahren müssen. Für die Aktion „mut mutiger mund auf“ für Vielfalt auf der Messe haben wir sehr viel Zuspruch erhalten – aber eben auch ziemlich viel Hass erfahren. Beleidigungen und Beschimpfungen gehörten für uns zum Messealltag. Immer wieder kamen Personen aus dem Antaios-Umfeld an unseren Stand, um zu provozieren und uns mit der bewährten Methode des Themenhoppings in Scheindebatten zu verstricken. Dass sich darunter auch Akteur*innen der Identitären und organisierte Neonazis befanden, hat das Sicherheitsgefühl unseres Teams und vieler Besucher*innen stark beeinträchtigt.
 

Der rechtsextreme Antaios-Verlag ist jetzt doch auf der Messe anwesend und zwar nicht in der sogenannten „rechten Ecke“, sondern mitten im Geschehen. Was ist passiert?

Timo Reinfrank: Antaios-Verleger Kubitschek hat kurzfristig über die FAZ und eine Pressemitteilung verlautbaren lassen, dass er seinen Verlag verkauft habe und in die Politikberatung wechselt. Ob das tatsächlich der Wahrheit entspricht, wissen wir nicht. Als Imprint soll Antaios vom Loci-Verlag geführt werden. Die Buchmesse hat — unwissend, wer oder was dahinter steckt — Loci einen Standplatz zugewiesen. Das Verlagsprogramm von Loci erscheint zumindest fragwürdig und wir wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, ob dieser Verlag überhaupt existiert oder ausschließlich ein Hoax ist, um Antaios einen prominenten Platz auf der Messe zu verschaffen und mit dieser Aktion Öffentlichkeit zu generieren, nach der die sogenannte „neue“ Recht giert.  

 

Was hat sich die Bildungsstätte Anne Frank für die Frankfurter Buchmesse 2018 vorgenommen?

Eva Berendsen: Nachdem wir uns im vergangenen Jahr notgedrungen vor allem mit rechtsradikalen und rechtsextremistischen Akteur*innen auseinandersetzen mussten, wollen wir in diesem Jahr vorrangig mit denjenigen reden, die aus dem völkisch-rassistischen Weltbild ausgeschlossen und von Rechten bedroht sind: Im Rahmen von Table-Talks diskutierten wir mit jüdischen, Schwarzen, muslimisch markierten und queeren Blogger*innen, Autor*innen und Social Media-Aktivist*innen über Hashtag-Aktivismus, Alltagsdiskriminierung, rechtsmotivierte Angriffe, über Solidaritäten und Bündnisse. Unter den Gästen sind zum Beispiel der Autor Max Czollek, die Bloggerin Juna Grossmann und die Twitter*in Ash Kay. Das wird ein Fest!

 

Wie ist es zu bewerten, dass in diesem Jahr mit Manuscriptum und der Jungen Freiheit zumindest zwei weitere problematische Verlage vor Ort sind?

Timo Reinfrank: Die Buchmesse ist eine demokratische Institution, die sich an die Regeln des Rechtsstaates hält. Zur Demokratie gehört aber zentral auch der Minderheitenschutz. Die „neue“ und die alte Rechte greift Minderheiten permanent an. Sie ist antisemitisch, rassistisch, antifeministisch und homo- und transfeindlich. In der Demokratie müssen wir solche Meinungen zwar aushalten, solange sie sich im rechtlichen Rahmen bewegen, aber wir müssen auch etwas dagegensetzen. Dazu gehört Haltung zu zeigen und Menschenfeindlichkeit nicht unwidersprochen stehen zu lassen. Allerdings sind es auf dieser Messe auch nicht nur diese beiden Verlage, die solche Meinungen vertreten. Unter anderm gibt es zum Beispiel auch noch den Ares-Verlag oder den Ahriman-Verlag. Dazu kommen auch noch mehrere Verlage und Gruppierungen aus dem christlich, bzw. muslimischen fundamentalistischen Spektrum.
 

Geht das Konzept der Messe auf, die beiden Verlage in einer eigenen Ecke unterzubringen, um sie dadurch besser zu kontrollieren?

Timo Reinfrank: Das Konzept hat es so ähnlich auch schon bei der Leipziger Buchmesse gegeben. Die Buchmessen in Deutschland müssen ein sicherer Ort für alle sein, für Juden und Jüdinnen, People of Colour, Geflüchtete, Trans*, Homosexuelle, Frauen. Im letzten Jahr gab es immer wieder Berichte von Menschen, die sich direkt bedroht gefühlt haben und die bedroht wurden.  Zudem ist die neue Rechte nicht nur minderheitenfeindlich, sondern stellt zentrale Grundsätze des Rechtsstaats, wie die Rechtsstaatlichkeit, die Religions- und Pressefreiheit infrage. Wenn die Messe Verlage, die menschenfeindliches Gedankengut verbreiten, an einer bestimmten Stelle bündelt, dann hat das zumindest den Vorteil, dass Betroffenen nicht permanent und unvorbereitet mit Hass und Verachtung konfrontiert werden. Aber Ausgrenzung kann nicht mehr die Lösung sein, sondern Auseinandersetzung und „Grenzen setzen“ ist das Gebot der Stunde. Mit einem Ausschluss und der absehbaren Opferinszenierung würden wir es ihnen zu einfach machen.  Die Stiftung reagiert deshalb auf die Herausforderung mit der Kampagne „Ohne-wenn-und-aber“, die deutlich macht, dass Antisemitismus und Rassismus für uns nicht diskutabel und durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt sind. 

 

Björn Höcke wird auch in diesem Jahr die Buchmesse besuchen. Was verspricht er sich Ihrer Meinung nach davon?

Eva Berendsen: Diesen Sonntag sind Landtagswahlen in Bayern, zwei Wochen später in Hessen: Da wird sein Auftritt wahrscheinlich auch etwas mit seinen Pflichten als Berufspolitiker im Wahlkampf zu tun haben. Darüber hinaus würde ich den Auftritt zum einen als einen weiteren Versuch bewerten, seine völkisch-rassistischen Ideen im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, die ja vom Ruf und Bekanntheitsgrad als Intellektuellentreffen schlechthin gilt, salon- und satisfaktionsfähig zu machen. Zum anderen hofft er vielleicht auf eine ähnliche Machtdemonstration und einen Schulterschluss zwischen AfD-Sympathisant*innen und gewaltbereiten Neonazis wie im vergangenen Jahr, als er sich wie ein Popstar auf der Bühne in Halle 4.1 von einer Schar Fans feiern lassen konnte, darunter ganz bürgerliche Leute, viele ältere Personen aber eben auch Identitäre und Rechtsextremist*innen. Vielleicht hofft er auf zivilgesellschaftlichen Protest, um sich als Opfer einer Meinungsdiktatur zu inszenieren. Und vielleicht verfängt das Spiel, wenn ein Großteil der Medien über das Stöckchen springt.

 

Seit der letzten Buchmesse wird von vielen Seiten verlangt mit Rechten – in diesem Fall sind damit vor allem Rechtsextreme gemeint – zu reden. Wie bewerten Sie das und was hat sich dadurch am öffentlichen, politischen Diskurs geändert?

Eva Berendsen: Mit ideologisch gefestigten Rechtspopulist*innen zu reden, also im Sinne eines Austauschs der Argumente auf Augenhöhe, ist ein ziemlich schwieriges Unterfangen, da das Gegenüber erfahrungsgemäß überhaupt nicht an dieser Form der Auseinandersetzung interessiert ist. Wer pauschal an dem Gebot festhält, den*die hätte ich gerne im vergangene Jahr zwei Stunden an unseren Stand gestellt: Hier ging es nicht um Debatte, Auseinandersetzung oder Streit, sondern ums gezielte Stören, ums Einschüchtern und das strategische Binden von Ressourcen. Im öffentlichen Diskurs erleben wir, wie sich in wenigen Jahren die Grenzen des Sagbaren dramatisch nach Rechts verschoben haben, gerade weil Rechtspopulist*innen die ganze Zeit reden und gehört werden. Dass Hassrede zu Hassgewalt führt, haben wir zuletzt bei den Angriffen auf People of Color und Migrant*innen in Chemnitz erlebt. Das heißt nicht, das Gespräch pauschal zu verweigern. Natürlich müssen Journalist*innen mit AfD-Politiker*innen reden, sofern sie in den Parlamenten vertreten sind. Und wir setzen uns mitunter auch mit ihnen auf ein Podium. Aber man muss prüfen, wem wann welcher Raum gegeben wird und welche Selbstinszenierung man unter Umständen bedient: Braucht es wirklich die bebilderte Homestory über einen Kleinstverlag aus Schnellroda? Muss der Reporter schreiben, welche Titel im Bücherregal vom Chef der österreicherischen Identitären stehen? Darüber hinaus vergisst die vom „Vulgärliberalismus“ der Rechtspopulist*innen, wie die Journalistin Melanie Amann es nennt, zutiefst verunsicherte Gesellschaft derzeit zu oft, dass Artikel 5 des Grundgesetzes nicht bedeutet, sich jede Meinung auch widerspruchslos anhören zu müssen.

Befürchten Sie wieder Provokationen und Tumulte?

Timo Reinfrank: Im letzten Jahr gingen diese Provokationen und Tumulte direkt vom Stand des Antaios-Verlages aus. Der Verlag ist zentral für die sogenannte „neue“ Rechte, die aus sehr unterschiedlichen, teils auch gewaltbereiten Playern besteht. Antaios ist zwar in diesem Jahr doch wieder auf der Messe vertreten, feiert sich aber zur Zeit hauptsächlich selbst, ob des leider gelungenen PR-Coups. Aber auch die anderen Vetreter*innen der extremen Rechten und der sogenannten „neuen“ Rechten sind nicht zu unterschätzen. Persönlich glaube ich, dass es dieses Jahr gar keinen großen Skandal mehr auf der Buchmesse geben wird. Die Frankfurter Buchmesse hat letztes Jahr ihren strategischen Zweck erfüllt. Jetzt geht es darum, dass die AfD auch in den Hessischen Landtag einzieht. Da wäre ein Störfeuer aus Schnellroda nicht hilfreich.

 

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Alter Rassismus in neuem Gewand: Die "Neue" Rechte

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Was ist die "neue" Rechte, und was ist an ihr so neu? Wer sind die Protagonist*innen und Netzwerke? Welche Strategien nutzen sie? Und was könne wir tun, wenn wir ihnen begegnen?

 

Von Stefan Lauer

 

Die „neue“ Rechte auf der Buchmesse 2017: Ein Rückblick

Die Frankfurter Buchmesse 2017 hat gezeigt, was passiert, wenn den „neuen“ Rechten ein Raum geboten wird – sie versuchen ihn mit allen Mitteln zu besetzen. Obwohl sie ohnehin eine große Medienaufmerksamkeit genossen, drängten
sie sich in laufende Interviews und störten Veranstaltungen. Sie belagerten den Stand der Amadeu Antonio Stiftung und bedrängten Mitarbeitende durch ständige Foto- und Filmaufnahmen und demonstrative Drohgebärden. 

Trotz ihres aggressiven Auftretens inszenierten sich die „neuen“ Rechten selbst permanent als Opfer einer vermeintlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit. In ihrem Umfeld versammelte sich in Frankfurt sowohl die rechtsextreme Identitäre Bewegung, als auch die Kameradschaftsszene sowie einschlägig bekannte Neonazis. Für diese Szene wurde die Buchmesse zum Event. Auf dem Programm standen Lesungen der Identitären ebenso wie die des Autors Akif Pirinçci, der erst kurz zuvor wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Extrem rechte Verlage haben die Buchmesse damit nicht nur als Plattform genutzt,  um ihre Publikationen vorzustellen. Sie inszenierten die Veranstaltung als Bühne und besetzten offensiv und selbstbewusst Räume. Höchste Zeit, genauer hinzuschauen – und aktiv zu werden! 

 

Was ist die "Neue Rechte"?

Die „neue“ Rechte – eine Selbstbezeichnung – will sich von der „alten“ abgrenzen und beruft sich auf die sogenannte „Konservative Revolution“ – rechtsnationale Intellektuelle aus der Vor- und Zwischenkriegszeit, die als Vordenker des Nationalsozialismus gelten. Die „neue“ Rechte gibt sich intellektuell. Bei genauerem Hinschauen sind die Unterschiede zum klassischen Rechtsextremismus verschwindend gering: Wo die einen „Ausländer raus“ grölen, raunen die
anderen von der „Remigration“. Gemeint ist dasselbe. Ähnlich sieht es bei anderen Themen aus. Die „neue“ Rechte steht für Flüchtlingsfeindlichkeit, Antifeminismus, Islamfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit und ist in Teilen antisemitisch. Ob unfreiwillig oder nicht, hat Thilo Sarrazin mit Büchern wie „Deutschland schafft sich ab“ viele Ideen der „neuen“ Rechten salonfähig gemacht. Über die rechtspopulistische AfD gelangen zentrale Ideen mittlerweile in fast alle Länderparlamente und in den Bundestag.

 

 Wer sie sind: Das „neurechte“ Netzwerk 

 

Götz Kubitschek (*1970)

Der Chef und Gründer des > Antaios Verlages gilt als Stichwortgeber für > Björn Höcke. Kubitschek war u. a. mit Dieter Stein, Gründer und Chefredakteur der > Jungen Freiheit, in der Studentenverbindung „Deutsche Gildenschaft“, die dem völkischen Nationalismus zugerechnet wird. Er ist Mitbegründer des > Instituts für Staatspolitik. Zudem unterstützt er die rechtsextreme Initiative > EinProzent. 

„Wozu sich auf ein Gespräch einlassen, auf eine Beteiligung an einer Debatte? Weil Ihr Angst vor der Abrechnung habt, bittet Ihr uns nun an einen Eurer runden Tische? Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres
Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht.“

– Götz Kubitschek in „Die Spurbreite des schmalen Grats“, Antaios 2016 –

 

Ellen Kositza (*1973)

Die Journalistin und Verlegerin ist mit > Götz Kubitschek verheiratet. Sie publiziert in der > Jungen Freiheit und der Zeitschrift > Sezession des > Instituts für Staatspolitik. In ihren Texten setzt sie sich für die Aufwertung
traditioneller Frauen- und Männerrollen ein. Außerdem polemisiert sie gegen Islam, Gender, Geflüchtete und politische Gegner*innen.

„Das Frauenbild der hier ankommenden Kulturbereicherer und Fachkräfte ist schwer vereinbar mit den europäischen Traditionen des Geschlechterumgangs.“

– Ellen Kositza in einem Video zu ihrem Buch „Die Einzelfalle“ auf YouTube, 2016 –

 

Martin Sellner (*1989)

Er gilt als Kopf der deutschsprachigen Sektionen der rechtsextremen > Identitären Bewegung (IB). Mittlerweile ist Sellner Co-Leiter der IB Österreich und propagiert eine jugendaffine Variante rechtsextremer Gesinnung

„Ich verstehe vollkommen, dass die Leute in den 1920ern gesagt haben, dass es eine ‘Judenfrage’ gab. Das ist vergleichbar mit der heutigen islamischen Migration.“ 

– Martin Sellner in der Reportage „Undercover: Inside Britain’s New Far Right“, 2017 –

 

Björn Höcke (*1972)

Der Gymnasiallehrer und Fraktionsvorsitzende der AfD Thüringen gilt als wichtigster Vertreter des völkisch-nationalistischen Flügels der AfD, der seine Treffen auch in Schnellroda bei > Götz Kubitschek abhält. Höcke vertritt rassistische und
geschichtsrevisionistische Positionen.

„Unser liebes Volk ist im Inneren tief gespalten und durch den Geburtenrückgang sowie die Masseneinwanderung erstmals in seiner Existenz tatsächlich elementar bedroht.“

– Björn Höcke in einer Rede in Dresden am 17. Januar 2017 –

 

Jürgen Elsässer (*1957)

Der einst linke Publizist propagiert heute eine Querfront-Volksbewegung (Verschmelzung linker und rechter Interessen) und ist zu einer führenden Stimme im extrem rechten Spektrum aufgestiegen. Er ist Gründer und Chefredakteur des Magazins
> Compact und des gleichnamigen Online-Portals.

„Aufgabe der oppositionellen Medien ist, zum Sturz des Regimes beizutragen – und da gehen wir Schulter an Schulter.“ 

– Jürgen Elsässer auf einer Bühne der Leipziger Buchmesse 2018, neben ihm saß Verleger Götz Kubitschek –

 

Die Identitäre Bewegung (IB)

ist, anders als der Name vermuten lässt, keine Bewegung, sondern eine in mehreren europäischen Ländern vertretene rechtsextreme Organisation, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Durch medienwirksame Aktionen will
sich die IB ein hippes Image geben, um sich zumindest äußerlich von altbackenen Neonazis abzugrenzen und so ein junges Publikum anzusprechen. Zwar scheint die Verpackung modern, doch die Inhalte bleiben klassisch rechtsextrem: Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus. Ihre Führungsfiguren in Deutschland kommen zum Beispiel aus der NPD-Jugend, aus radikalen Burschenschaften und aus der verbotenen Neonaziorganisation Heimattreue Deutsche Jugend. Die IB hat rund 500 Unterstützer*innen in Deutschland, wovon nur etwas über 100 aktive Mitglieder sind.
 

Der Antaios-Verlag

ist neben dem > Institut für Staatspolitik (IfS) und der Zeitschrift > Sezession (Theorieorgan des IfS) die dritte „neurechte“ Institution in der Verantwortung von > Götz Kubitschek. Gegründet wurde der kleine völkisch-nationale Verlag im Jahr 2000 in Schnellroda. Ziel ist es, die „neue“ Rechte mit ideologischem und theoretischem Rüstzeug zu versorgen. Hier finden sich Bücher der Vordenker der „neuen“ Rechten, Anleitungen, um ein identitäres Leben zu führen und allerlei Hetzschriften gegen den Islam und Feminismus. Den bisher größten Erfolg erzielte der Verlag mit dem antisemitischen Bestseller „Finis Germania“ von Rolf-Peter Sieferle.
 

Das Institut für Staatspolitik (IfS)

wurde u. a. von > Götz Kubitschek im Jahr 2000 gegründet. Ziel des neurechten Thinktanks ist es, Rechtsaußen-Diskurse gesellschaftsfähig zu machen. Das IfS veranstaltet Vorträge rechtsextremer Referent*innen, schult(e) NPD-Kader sowie andere rechtsextreme Personen und dient der Szene als Kaderschmiede.

EinProzent

ist eine im April 2016 gegründete Initiative der „neuen“ Rechten. Der Widerstand gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung soll durch EinProzent gebündelt werden, um so rechtsextreme Kampagnen wie z. B. Aktionen der > Identitären Bewegung gegen Geflüchtete auf dem Mittelmeer durch deren Finanzierung zu ermöglichen. Aktiv sind hier bekannte Strategen der „neuen“ Rechten, u. a. > Götz Kubitschek und > Jürgen Elsässer. Als Vorsitzender fungiert Philip Stein, ein junger Verleger und Burschenschaftler, der bereits bei einer AfD-Veranstaltung im Reichstag auftrat.
 

Compact

hat sich sowohl mit seinem Online-Portal als auch der Print-Ausgabe von einem Querfront-Magazin zum Sprachrohr für das Politikverständnis der AfD und Pegida und der „neuen“ Rechten entwickelt. Compact verbreitet Verschwörungstheorien, islamfeindliche, antifeministische, homo- und transfeindliche Inhalte. 
 

Die Junge Freiheit

eine Wochenzeitung aus Berlin, hat eine Auflage von ca. 36.000 Exemplaren. Der Historiker und Rechtsextremismusexperte Volker Weiß sieht die Junge Freiheit als ideologisches und organisatorisches Mutterschiff der „neuen“ Rechten der vergangenen 30 Jahre an. Gründer und Chefredakteur ist Dieter Stein. Im Gegensatz zur eher einfach gestrickten > Compact, will die Junge Freiheit ein intellektuell-bürgerliches Publikum ansprechen.

 

Was sie tun: Ihre Strategien 

Die Vertreter*innen der „neuen“ Rechten wollen die Errungenschaften der liberalen Gesellschaften abschaffen. Dabei machen sie sich genau diese zunutze, um Räume für sich zu beanspruchen. Die „neue“ Rechte arbeitet mit passenden Angeboten
für alle Zielgruppen. Mit dem schon sprichwörtlich gewordenen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, nutzen sie die Meinungsfreiheit, um Rassismus, LSBTIQ*-Feindlichkeit und Antisemitismus zu normalisieren. Auf der Straße treten sie
dabei mit Stickern, Flashmobs, Protestaktionen und Demonstrationen in Erscheinung. Zentral ist für die „neuen“ Rechten der digitale Raum. Allein die Facebookseite der AfD im Bund hat über 420.000 „Likes“ (Stand: September 2018). Jüngere Interessent*innen werden von der rechtsextremen > Identitären Bewegung (IB) mit zeitgemäßen und gut produzierten Videos bedient.

Dazu kommen Junge Freiheit und Compact. Die „neue“ Rechte ist auf allen Kanälen aktiv. Auch in den Parlamenten nimmt sie über ihren parlamentarischen Arm aus Teilen der AfD Raum ein: Die Partei nutzt besonders gerne parlamentarische
Anfragen, um die Arbeit demokratischer Institutionen zu binden, gleichzeitig zivilgesellschaftliche Akteure unter Druck zu setzen und ein Bedrohungsszenario gegenüber Migrant*innen, LSBTIQ* und anderen Menschen aufzubauen, die nicht ins
eigene Weltbild passen. Die rechten Akteure sind dabei gut miteinander vernetzt. Insbesondere die Initiative > EinProzent will eine Art rechtsextreme Einheitsfront von Neonazis, über völkische Siedler bis hin zum „gemäßigten“ Teil der AfD schaffen. 

 

Was sie denken: Zentrale Begriffe der „neuen“ Rechten

Ethnopluralismus

Wo die NPD brüllt „Deutschland den Deutschen“, ruft die „neue“ Rechte nach „Ethnopluralismus“ – gemeint ist dasselbe. Das „Volk“ meint nach diesem nationalistischen Konzept nicht die Bevölkerung eines Staates, sondern wird stattdessen mit „Ethnie“ gleichgesetzt. Jedes „Volk“ hätte eine vermeintlich unveränderliche kulturelle Identität, so die Argumentation der „neuen“ Rechten. Diese müsse vor „fremden“ Einflüssen geschützt werden. Deshalb sollten „Völker“ sich strikt voneinander abgrenzen und auf innere Homogenität achten. Dieser „Rassismus ohne Rassen“ führt zu Ausgrenzung und Gewalt gegen Migrant*innen: Alle Menschen, die nicht dem „Volk“, also der imaginierten eigenen Ethnie angehören, müssten das Land verlassen.

 

Metapolitik

Dieser philosophische Begriff der Staatslehre wird von der „neuen“ Rechten als der Kampf um die kulturelle Hegemonie verstanden: Um ein vorherrschendes politisches System zu „überwinden“, will die rechte Szene auch über den politischen Bereich hinaus aktiv werden. Man müsse zunächst in die Zivilgesellschaft eindringen, die Grenzen des Sagbaren verschieben und rechte Positionen in der Öffentlichkeit normalisieren. Im Rahmen einer Strategie des „Kulturkampfes“ und der „Konservativen Revolution“ werden Zeitschriften verlegt, Institute aufgebaut und Verlage gegründet, um so meinungsbildend im öffentlichen Raum zu wirken und Diskurse zu besetzen und zu ändern. 

 

Reconquista

Der historisch umstrittene Begriff bezeichnet die Rückeroberung der arabisch besetzten iberischen Halbinsel durch christliche Königshäuser ab dem Jahr 722. Am Ende der historischen „Reconquista“ war Spanien allerdings nicht nur von der muslimischen Herrschaft befreit, sondern zwang auch alle Juden und Jüdinnen zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Die „neue“ Rechte nutzt „Reconquista“ heute als Kampfbegriff, um zu implizieren, dass Deutschland von Muslim*innen und dem Liberalismus besetzt sei und zurückerobert werden müsse. 

 

„Umvolkung“ / „Der große Austausch“

Diese Verschwörungserzählung imaginiert einen staatlich organisierten oder zumindest geduldeten Bevölkerungsaustausch der „Stammbevölkerung“ durch Migrant*innen. Dabei verbinden die rechten Akteure antimuslimischen Rassismus mit antisemitischen Stereotypen. Damit wollen sie ihre Menschenfeindlichkeit und ihren Hass theoretisch begründen und rechtfertigen. Häufig wird eine jüdische Verschwörung als Strippenzieherin des angeblichen Bevölkerungsaustauschs.

 

Was tun?

Solidarisieren 
Immer und überall als erstes: Mit Personen solidarisieren, die von diskriminierenden und menschenverachtenden Anfeindungen betroffen sind. 

Analysieren 
Rechtspopulistische, nationalistische Positionen und Akteur*innen im eigenen Umfeld erst einmal einschätzen: Wie agieren sie, wie argumentieren sie, welche Inhalte vertreten sie, wer ist Teil des Netzwerkes, was sind ihre Strategien?

Positionieren
Das Wichtigste im Umgang mit Rechtspopulist*innen ist die eigene Haltung: Wofür stehe ich/stehen wir, wie will ich leben, in was für einer Gesellschaft? Dies sollte stets offensiv nach außen vertreten werden, statt sich an den Rechtspopulist*innen und deren Themen abzuarbeiten.

Widersprechen
Ob im eigenen Verein, im Gespräch mit Nachbar*innen oder der Vorsitzenden einer rechtspopulistischen Partei: Bei Positionierungen, die Sie als falsch oder gar menschenverachtend erachten, gilt es zu widersprechen. Nicht immer geht es darum, den oder die Gegenüber zu überzeugen. Wichtiger ist oft, gegenüber Umstehenden, die unsicher sind, deutliche Positionierungen und eine klare Haltung zu zeigen.

Demokratie verteidigen
Ein demokratisches, offenes Weltbild spricht nicht automatisch für sich. Für eine solidarische Gesellschaft muss gestritten werden. Demokratische Streitkultur muss wieder gelernt werden. Andere Positionen sind selbstverständlich legitim und wichtig. Jedoch gibt es Grenzen. Die Menschenrechte müssen stets Grundvoraussetzung für den demokratischen Diskurs sein. Diese Grenzen des Sagbaren sind dort erreicht, wo Menschen aus rassistischen Gründen ausgegrenzt werden. Genau diese Grenzen haben Vertreter*innen der „neuen“ Rechten schon lange überschritten.

Spenden Sie für die Amadeu Antonio Stiftung
Unterstützen Sie unseren Fonds für Projekte gegen Rechtsextremismus: Wir setzen uns für eine starke Zivilgesellschaft mit einer klaren Haltung ein – ohne Wenn und Aber!

 

 

Diesen Text gibt es auch als Flyer - so wird er aktuell auf der Frankfurter Buchmesse 2018 verteilt. Hier der Flyer zum Download:

http://www.belltower.news/files/aas_flyer_neuerechte.pdf

Dateien zum Download: 
Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Sitz: Wien 

Ein kleiner, 1980 aus einer Kooperation mit dem Schweizer Verlag L’Age d’Homme in Wien hervorgegangener Verlag, der sich an der „romanisch-germanischen Spannweite der Karolinger“ orientiert. Er ist als rückwärtsgewandt und reaktionär-monarchistisch einzustufen, da sein Verlagsprogramm in erster Linie antimoderne, antiliberale, antiaufklärerische und monarchistische Autoren - das DÖW spricht von „deklarierten Antidemokraten" (vgl. ORF)“ - umfasst. So gibt dieser Verlag eine Reihe mit dem Namen "Bibliothek der Reaction" heraus, in der sogar Metternich höchstselbst (!), aber auch noch krassere Reaktionäre des 19. Jahrhunderts verlegt werden - dazu zählt etwa Konstantin Leontjew (1831-1891), der gegen jede Form von Fortschritt und Aufklärung wetterte und sich heute in der russischen Rechten großer Beliebtheit erfreut. Ein weiterer Schwerpunkt ist nach eigener Aussage das Werk des kolumbianischen Intellektuellen Nicolás Gómez Davilá, der sich als dezidiert reaktionären Kritiker der Moderne verstand. Der Verlag inseriert u. a. in der rechtsextremen Zeitschrift "Die Aula" und seine Bücher werden auch vom "Aula Verlag" und vom "Verlag Antaios" vertrieben. Außerdem bezeichnete ein Vertreter des Verlags in einer Stellungnahme Armin Mohler, den wichtigsten Pionier der Neuen Rechten im deutschsprachigen Raum, als „scharfen, auch provozierenden Geist.“ Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler sprach 2007 von einem „Dunkelmännerverlag [...], wo sich sehr dubiose Leute mit sehr dubiosen Ansichten versammeln.“(vgl. Deutschlandfunk Kultur). 2017 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel Der Dämon der Demokratie. Totalitäre Strömungen in liberalen Gesellschaften (vgl. Apabiz). Der Karolinger Verlag kann daher der intellektuellen (Neuen) Rechten zugerechnet werden, „die sich die Gegenaufklärung auf die Fahne geschrieben hat“, wie der Journalist Hans Bohrmann bereits 2008 feststellte.

 

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