Das ist des braunen Pudels Kern: Hass auf Juden- und Christentum, auf die Idee der Gleichheit aller Menschen – Sehnsucht nach einer archaischen Welt aus Herren und Sklaven, Führern und Geführten
Von Thomas Assheuer
Warum? Warum soll man sich daran die Finger schmutzig machen? Warum soll man seine Gedanken an ein Weltbild verschwenden, das doch nur die alten Schändlichkeiten enthält – das alte braune Gift, den Hass auf Juden, Linke, Ausländer? Ein Weltbild, in dem stets dieselben Zitiersoldaten vorbeimarschieren, die Dichter und Denker der »Konservativen Revolution« aus der Zeit der Weimarer Republik?
Die Antwort ist einfach. Rechte und rechtsextreme Intellektuelle wissen, dass sie in der »bürgerlichen Mitte« noch keinen Stiefel auf den Boden bekommen. Deshalb versuchen sie, ihre Ideologie sorgsam zu »portionieren«, mit frischen Etiketten zu versehen und als harmlosen Diskussionsbeitrag unter die Leute zu bringen. Die Forschung nennt dies »Framing«. Im »Kampf um die Köpfe« (NPD) offerieren rechte Intellektuelle der Öffentlichkeit scheinbar unverfängliche Teile ihres Weltbildes als Deutungsrahmen für soziale Probleme. Nur eines muss dabei unsichtbar bleiben: das Fundament, das diesen Rahmen trägt.
Dieses Fundament ist seit eh und je ein extremer Biologismus, also die Ansicht, Menschen seien von Natur aus ungleich und unterteilten sich in höher- und minderwertige Wesen, in Herren und Knechte, Führer und Geführte. Deshalb verachten rechte Denker die Idee der Menschenrechte zutiefst. Dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, Rechte zu haben, ist für sie ein tödliches Gift im »Volkskörper«. Es lähme die natürliche Auslese von Starken und Schwachen und verhindere das Entstehen von Führungseliten. Anders gesagt: Ohne Lebenskampf entarte die Gesellschaft, und plötzlich gäben Parasiten und volksfremde Elemente den Ton an. Nicht einmal große Kunstwerke brächten diese Kretins zustande. Höchstens Kuckucksuhren, wie die Schweizer.
Ohne Krieg, sagen rechte Denker, »verfault« die saturierte Gesellschaft
Die rassistische Weiterung liegt auf der Hand: Nicht nur unter Individuen, auch unter den Völkern gebe es höher- und minderwertige Exemplare. Damit wiederholt sich der natürliche Auslesekampf – gleichsam auf Weltebene – auch zwischen den Völkern, eben als Krieg, als Kampf zwischen Freund und Feind, Starken und Schwachen. Ohne diesen Kampf käme die Weltgeschichte zum Stillstand, und die Nationen würden »verfaulen«. Daraus folgt: Wer den Krieg ächtet, der fördert die Dekadenz. Denn Krieg, so klingt die sozialdarwinistische Marschmusik der intellektuellen Rechten, »vitalisiert« und »verjüngt« die übersättigte Gesellschaft. Oder wie der Schriftsteller Ernst Jünger (1895 bis 1998), ein wichtiger Schutzpatron der Rechten, seinen geistigen Waffenbrüdern mit auf den Marsch gab: Kriege müssten »von Zeit zu Zeit stattfinden, in ihnen spricht sich der Wille der Natur aus, unmittelbar in die Entwicklungen der größten Lebenseinheiten der Erde einzugreifen«.
Erst vor dem »Set« dieser biologistischen Grundüberzeugungen wird deutlich, warum radikale Rechte alles hassen, was auch nur entfernt an Moral erinnert, an »Humanitätsduselei«. Moral ist der Todfeind aller Rechtsradikalen. Denn Moral ist für sie die Widersacherin heldischen Lebens; sie zwinge den Einzelnen unters Joch des schlechten Gewissens und schlage sich auf die Seite der Schwachen. Wer Moral sage, wolle betrügen.
Man muss nicht lange rätseln, wer für die »Erfindung« der Moral verantwortlich gemacht wird, nämlich Judentum und Christentum. Die beiden »Wüstenreligionen« hätten das Gerücht von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in die Welt gesetzt und damit friedliche Sklaven zum Aufstand gegen ihre natürlichen Herren aufgestachelt. Weil er überall auf der Welt Chaos in die Ordnung bringe, sei der Monotheismus eine Erfindung des Teufels. Er habe die Antike auf dem Gewissen, die herrliche Grausamkeit der heidnischen Welt. »Judäo-Christen« hätten die griechischen Götter vom Thron gestürzt und das nützliche Blutopfer abgeschafft. Heute fehle es uns.
Wenn nicht alles täuscht, dann steckt im – fast durchgängigen – Hass auf den Monotheismus der Schlüssel zum Verständnis des rechtsradikalen Weltbildes. Jesus Christus, schreibt der auch hierzulande gern zitierte Chefdenker der »Nouvelle Droite«, Alain de Benoist, sei der erste Bolschewist der Geschichte gewesen. Bis heute knüppele sein Fußvolk – Kommunisten, Linke, Liberale, Aufklärer – mit der Moralkeule alles Starke und Mächtige nieder und lasse die Welt in Gleichheit erstarren.
Das jämmerliche Resultat der jüdisch-christlichen Gleichheitsidee könne man überall, sozusagen urbi et orbi, besichtigen. Auf den Trümmern großer Reiche breite sich ein machtvergessener Nihilismus aus, dem nichts mehr heilig sei. Herrenlose Massen zögen wie Nomaden durch die Shoppingmalls babylonischer Städte. So habe der Monotheismus das Abendland zu genau der Wüste gemacht, der seine Propheten entstammten. Solche Sätze haben Tradition. Schon Ernst Jünger spottete über die »tausendjährige monotheistische Inzucht«, und auch für ihn begann mit Juden- und Christentum der Kreuzweg in die Gleichmacherei. Statt großer Männer herrschten heute die Mainzelmännchen.
Angesichts von so viel Verfall gibt es für die radikale Rechte nur eins: Deutschland muss seine »Wiedergeburt« in Angriff nehmen, den »judäo-christlichen« Sonderweg verlassen und sich wieder auf das Ureigene, das germanische Heidentum besinnen. Erst wo das Christentum ende, beginne die »echte Religiosität« des deutschen Menschen – echt, weil sie die Moralkeule aus der Hand gelegt habe zugunsten von antiker Härte und heroischer Macht. Mit Deutschlands Wiedergeburt ende auch die Verweiblichung politischer Eliten. Mit einem männlichen Satz des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler (1880 bis 1936): »Wer nicht zu hassen vermag, ist kein Mann, und die Geschichte wird von Männern gemacht. Ihre Entscheidungen sind hart und grausam, und wer da glaubt, ihnen mit Verstehen und Versöhnung ausweichen zu können, der ist für Politik nicht geschaffen.«
Verachtung der Gleichheit, Lob der Auslese, heidnische »Wiedergeburt«: Das sind die Parolen, mit denen rechte Denker gemeinhin zum entscheidenden Schlag auszuholen, zum Schlag gegen die hässlichste Staatsform der Geschichte, die liberale »Demokratie«. Grau und grässlich sei sie, weil in ihr die Schwachen und Mittelmäßigen ihre scheinliberale Herrschaft über die Großen und Starken ausübten. Zu diesem »gleichmacherischen« System gibt es im rechten Weltbild nur eine Alternative: die »Volksgemeinschaft«. Sie sei deshalb eine wahre Demokratie, weil ihr »Führer« aus dem Auslesekampf des Volkes hervorgehe und dessen Interessen besser vertrete, als ein Parlament dies je könnte. Denn der Führer, so bringen rechte Denker in Anschlag, weiß: Das Volk wartet nicht auf eine Diskussion; es wartet auf einen Befehl.
Die Lieblingsparole lautet: Deutschland den Deutschen
Um sie von der Pest des Egalitarismus zu verschonen, soll die »Volksgemeinschaft« eine Ständegesellschaft sein. Jedem Einzelnen wird darin ein fester Platz zugewiesen, gemäß seinem Beitrag für die Gemeinschaft. Ausländer seien »Fremdkörper« und »bedürfen« der sofortigen »Rückführung« in ihre Heimat. »Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken.« Nach dieser ethnischen Säuberung sei der Weg frei zur nationalen »Wiedergeburt«, und Deutschland könne wieder jene Großmachtrolle übernehmen, die ihm das geopolitische Schicksal in Europa zugewiesen habe.
Wo der Größenwahn Auslauf hat, schleicht die Paranoia im Schlagschatten hinterher. Der rechte Verfolgungswahn gipfelt in der Behauptung, Deutschland sei von jeher der Sündenbock der Weltgeschichte gewesen, gleichsam das kleine Ithaka auf der großen Weltkarte. Erst fielen die Römer in Germanien ein, dann missionierende Christen. Sie predigten die Feindesliebe, trieben den Deutschen den Kampfgeist aus und »zersetzten« ihren einzigartigen heroischen Charakter. Nach der französischen Revolution überfiel Napoleon des Deutschen Vaterland und versuchte, die romantische Ader herausschneiden, um ihm stattdessen einen seelenlosen Rationalismus einzupflanzen. Kurzum, ständig sei Deutschland von Feinden umzingelt worden. In präventiver Notwehr habe deshalb Adolf Hitler in Polen einmarschieren müssen, um nach der tragischen Unterschätzung des kapitalistisch-kommunistischen Gesamtfeindes ehrenvoll unterzugehen. So sind im rechten Weltbild die Deutschen niemals Täter, schlimmstenfalls Schuldige, in jedem Fall ruhmreicher als der Feind, wie der »Bomben-Holocaust« gegen Dresden beweise.
Moralische Regungen, gar Spurenelemente von historischer Scham sucht man bei »nationalen Denkern« vergebens; sie sind ihnen fremd. Die Vernichtung der europäischen Juden wird von ihnen entweder geleugnet, als »säkulares Verhängnis« relativiert oder mit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki »verrechnet«. Was auch geschah, Deutschland war nur der Schauplatz für ein Geschehen, das hinter seinem Rücken »zum Austrag kam«. Auch nach 1945. Das neue Rom – gemeint ist Amerika – sperrte Deutschland in die Schwatzbude der Demokratie ein und schleifte es am »Nasenring« der Westbindung durch den Staub der Geschichte. Seit der jüdisch-amerikanischen Gehirnwäsche geisterten die Deutschen als geschichtslose Zombies durch die Welt. Den Rest kann man sich denken. Einsam halte allein die deutsche Rechte Wache in der Götternacht des Nihilismus und leiste Widerstand gegen den »US-Militär-Wirtschafts- und Kulturimperialismus«. Zum Glück habe sie das Schicksal auf ihrer Seite. Seit dem Irakkrieg sinke Amerikas Stern, und die Welt befinde sich im manichäischen Endkampf mit dem »Liberalextremismus«.
Man muss nur eins und eins zusammenrechnen, dann erkennt man, warum die NPD im Osten ihre Mitgliederzahlen vervielfachen konnte. Aus Antikapitalismus und Volksgemeinschaftswahn rührt sie einen braunen Klebstoff zusammen und stellt sich an die Spitze der Globalisierungskritiker. Wie die wohlstandschauvinistische Partei »Die Linke«, mit der sie die Israelfeindschaft teilt, geht sie bei den Verlierern der Schröderschen Reformen auf Stimmenfang. Sie fischt im Sammelbecken der Unterschichten, bei den Chancenlosen und Prekär-Verdienern, die von ihren Billiglöhnen nicht leben können. Einst waren ihnen blühende Landschaften versprochen worden; heute sperrt ihnen der Staat ein Zimmer zu, weil laut Hartz IV ihr Wohnraumanspruch gedeckt ist.
Die Grenze zwischen Konservatismus und Neuer Rechter wird unscharf
Die Demagogie wirkt, nun wählen viele von ihnen NPD. Jede Lücke, die der Abbau sozialstaatlicher Sicherungen aufreißt, wird propagandistisch durch die Ideologie der Volksgemeinschaft gefüllt. Sofort sind die Rechten zur Stelle. Sie versprechen den Verunsicherten einen »sozialistischen Nationalismus«, der den Einzelnen in die Gemeinschaft zurückholt und verhindert, dass er als trauriges Elementarteilchen in einer neoliberalen Privatrechtsgesellschaft sein Dasein fristet. Jede Individualisierung von Lebensrisiken ist für die Rechte ein gefundenes Fressen und eröffnet ihr ein breites Agitationsfeld – was nicht heißt, dass ein »fürsorglicher« Sozialstaat sie zum Schweigen bringt. Denn der Sozialstaat, so tönen sie, sei nur Opium fürs Volk, ein Trick des »Liberalextremismus«.
Leider profitieren rechte Agitatoren davon, dass die Grenzen zum Lager der demokratischen Konservativen unscharf geworden sind. Carl Schmitt, der Kronjurist des »Dritten Reiches« (1888 bis 1985), ist von einer schlagenden Verbindung aus postmodernen und altkonservativen Autoren wieder hoffähig gemacht worden, und die todessüchtige Rittmeister-Prosa des lebenslangen Demokratieverächters Ernst Jünger gilt zwischen FAZ und Welt als große Kunst. Dass Botho Strauß die Langfassung seines Pamphlets Anschwellender Bocksgesang in einer neurechten Zeitschrift veröffentlichte, empfand die einschlägige Szene ebenso als Triumph wie Martin Walsers Schlussstrich-Rede in der Frankfurter Paulskirche. Und Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) plante allen Ernstes, einen ehemaligen Redakteur und Autor der Zeitung Junge Freiheit zum Kultusminister zu ernennen. Dabei ist die Junge Freiheit nichts anderes als ein Auffangbecken der Neuen Rechten.
Was tun? Den Skandal der Republik – die neuen Judenhasser samt ihren intellektuellen Flakhelfern – wird man nicht mit präsidialen Sonntagsreden im Berliner Lustgarten aus der Welt schaffen können. Gesinnungen darf man auch nicht verbreiten. Es wäre schon viel gewonnen, könnte man die Duldungsstarre gegenüber den Stiefelträgern beenden, das Einsickern ihrer Denkweisen in die Alltagswelt, die verbreitete Haltung, Rechtsradikale gehörten nun einmal zur neudeutschen Normalität. Noch entscheidender aber wäre eine Strategie, die den »Führern« von NPD und DVU das Wasser abgräbt und ihre »Politik der Wut« bei der Bevölkerung ins Leere laufen lässt.
Dafür aber benötigen die etablierten Parteien wieder ein Projekt. Sie brauchen eine griffige Alternative zu einer Politik, die nur das ausführt, was ihr die Dynamik entfesselter Märkte vorzugeben scheint: Dumpinglöhne, Steuersenkung für Unternehmen und den Umbau des Wohlfahrtsstaates zum Sozialhilfestaat. Diese verlorene Gestaltungsmacht werden die Nationen nur gemeinsam zurückerobern können. Bis dahin, so schreibt der Politikwissenschaftler Thomas Greven, wird die Rechte erfolgreich im Trüben fischen. Sie ist, schrecklich zu sagen, die einzige »Bewegung«, die ein »Rezept« gegen die Globalisierung bereitzuhalten scheint: Schotten dicht, Ausländer raus, Schutzzölle auf ausländische Waren – »Hegemonie des Deutschen« statt Hegemonie des »jüdischen Geldes«.