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Anders Breivik als Theoretiker und Propagandist der Neuen Rechten

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Bei der Diskussion um den Massenmord in Norwegen gilt es festzuhalten: Anders Behring Breivik ist ein politischer Attentäter. Ein Propagandist der Tat.

Von Alan Posener

Das schließt nicht aus, dass er auch ein Psychopath ist. Jedoch darf die möglicherweise gerichtlich relevante Frage seiner geistigen Verfassung nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Anschlägen in Norwegen um eine politische Aktion handelte.

Um meinen Standpunkt anhand eines historischen Beispiels deutlicher zu machen: In meinem ersten Semester an der Universität lernte ich – flüchtig – Ulrike Meinhof kennen. Das war kurz vor ihrem Untertauchen.

Ich gewann damals den Eindruck, dass sie schwer gestört war. Und womöglich muss man, um das zu tun, was die RAF-Leute getan haben, sich in einem psychisch anormalen Zustand befinden.

Allerdings kamen die Gerichte in allen bundesdeutschen Terror-Verfahren zum Ergebnis, die Angeklagten seien durchaus schuldfähig. Und auch die bundesdeutsche Neue Linke betrachtete und betrachtet die RAF als Teil von sich; sei es, dass einige damals „klammheimliche Freude“ über die Morde der „Genossen der RAF“ empfanden, sei es, dass einige „Solidarität mit den politischen Gefangenen“ übten, sei es, dass viele heute im Rückblick erschauern, weil sie eben einen Zusammenhang zwischen radikalem Denken und radikalen Handlungen erkennen.

Ideen haben Konsequenzen. Worte haben Folgen. Wer diesen Zusammenhang nicht sehen will, gilt heute nicht einmal in linken Kreisen als wirklich ernst zu nehmen.

Umso bezeichnender ist es, dass die neurechten Maulhelden, aus deren Dunstkreis Anders B. hervorging, und die ihn zu den Ihren zählten, bevor er das Maulheldentum satt hatte und zur Propaganda der Tat schritt, nun gar nichts mit ihm zu tun haben wollen, keinen Gedanken auf Selbstkritik verwenden, sich vielmehr in bekannter Manier wehleidig schon jetzt als Opfer des linken „Mainstreams“ und jener „Kulturmarxisten“ hinstellen, die Anders B. absolut folgerichtig seinerseits als Opfer heraussuchte. (Mit seinen Mentoren hatte er nämlich auch gemeinsam, dass „der Islam“ als Feind eine abstrakte Chiffre bleibt, während der eigentliche Hass denjenigen gilt, die verdächtigt werden, den Islamisten den Weg zu bereiten. Eine Haltung, die wir vom Stalinismus und vom McCarthyismus her kennen.)

Dabei waren sie – die Kritiker linken „Gutmenschentums“ – immer schnell dabei, wenn es darum ging, „den 68ern“ vorzuwerfen, ihre Ideen hätten zum Terror geführt.

Die Muslimfeinde, deren Ideen Anders B. zu seiner Tat bewegten, sind auch bei jeder islamistischen Terrortat immer schnell mit der Forderung zur Hand, „die Muslime“ müssten sich davon eindeutig und glaubhaft distanzieren.

Und natürlich geht ihnen keine Distanzierung je weit genug. Die Forderung, auch sie müssten sich nun glaubhaft von der Tat des Anders B. distanzieren, weisen sie hingegen weit von sich.

Aber es gibt natürlich einen Zusammenhang zwischen dem Islam und dem spezifisch islamischen Terror, und es ist darum richtig, dass Imame und Sprecher der Muslime nicht nur die jeweiligen Taten verurteilen, sondern auch jene spezifische Perversion des Islam, die zum Terror führt, ausdrücklich und offen verurteilen.

Und es gibt einen Zusammenhang zwischen der Neuen Rechten und den Terror-Attentaten in Norwegen. Ideen haben Konsequenzen. Worte haben Folgen. Wer das leugnet, verwirkt den Anspruch, ernst genommen zu werden.

Anders B. hat sich selbst sehr eindeutig in der neurechten Szene verortet und einige sehr interessante Bemerkungen zur Theorie und Praxis dieser Bewegung gemacht. Auf S. 13 seiner gesammelten Beiträge für „Document No“ schreibt er – ich übersetze aus der schlechten, womöglich maschinellen englischen Übersetzung:

„50 Jahre Anstrengungen der ethnozentrischen Organisationen / Bewegungen (1960 – 2009) haben zum völligen Scheitern geführt. Wir wissen das, und eine weitere Fokussierung auf diese Strategien wird nur kontraproduktiv sein und der norwegischen und europäischen konservativen Bewegung schweren Schaden zufügen.“

Unter „ethnozentrischen“ Organisationen versteht Breivik die Alte Rechte, die explizit rassistisch und explizit antisemitisch ist. Als Beispiel nennt er die British National Party / National Front. Solche Organisationen würden nie mehr als 10 Prozent der Bevölkerung hinter sich vereinen können.

„Man kann Rassismus (Multikulti) nicht mit Rassismus bekämpfen“, schreibt er. „Der Ethnozentrismus ist also genau dem entgegengesetzt, was wir erreichen wollen.“ Stattdessen müsse man die „Wiener Schule“ als „ideologische Basis“ wählen: „Das bedeutet Widerstand gegen Multikulturalismus und Islamisierung (aus kulturellen Gründen). Alles ideologische Argumente, die auf Antirassismus beruhen.“

Dies ist eine äußerst interessante Stelle. Denn wir wissen ja, dass Anders B. als Ziel ein ethnisch homogenes, ideologisch auf einem strengen Christentum und einem ausgeprägten Nationalbewusstsein beruhendes Gemeinwesen vorschwebt – also etwa das Gleiche, was die Alte Rechte will. Jedoch hält er es aus taktischen Gründen – weil expliziter Rassismus nicht mehrheitsfähig ist – für sinnvoller, gegen Islamisierung und Multikulturalismus zu argumentieren, und zwar „aus kulturellen Gründen“, ja den Kampf als „Antirassismus“ hinzustellen und den Muslimen und Multikulturalisten einen – gegen die Europäer gerichteten – Rassismus vorzuwerfen.

„Dies hat sich als sehr erfolgreich erwiesen und erklärt, weshalb die moderne kulturkonservative Bewegung bzw. kulturkonservative Parteien, die die Wiener Denkschule anwenden, so erfolgreich sind: die (norwegische) Fortschrittspartei, Geert Wilders und viele andere.“

Damit hat Breivik das schmutzige kleine Geheimnis dieser Leute ausgeplaudert. Ihr Ziel ist das gleiche wie jenes der alten Neonazis. Aber sie halten es für geschickter, sich als Antirassisten, Verteidiger der Demokratie, Freunde Israels usw. zu tarnen.

Was übrigens den angeblichen Philosemitismus der Neuen Rechten angeht: Ganz abgesehen davon, dass Juden instinktiv – und aus Vernunftgründen – gegen den Nationalismus, gegen ethische, religiöse und kulturelle Homogenität sind, weshalb schon die Ziele dieser Bewegung implizit antisemitisch sind: Indem Breivik immer wieder auf den „Kulturmarxismus“ Schimpft, den er in seinem Manifest explizit mit der Frankfurter Schule in Verbindung bringt, belebt er ein altes, aber noch virulentes antisemitisches Klischee der Alten Rechten und Neonazis, denen zufolge Adorno, Horkheimer, Marcuse und Co. mit ihren Theorien die moralische Widerstandskraft der Deutschen und der Europäer gegen die Kulturhegemonie des verjudeten Amerika brechen wollten.

Dies war übrigens in konservativen Kreisen eines der Hauptargumente gegen die sich auf Adorno, Horkheimer, Marcuse, Reich und Freud sich berufenden 68er.

Es ist nicht ganz klar, was Breivik mit „Wiener Schule“ meint. Zuweilen wird auf das Blog „Gates of Vienna“ verwiesen, wo der von Breivik oft zitierte Blogger „Fjordman“ postet. (Der reagierte auf bezeichnende Weise, indem er schrieb, er sei kein Extremist, es sei denn, man betrachte „eine starke Verpflichtung zur Wahrheit“ als Extremismus.

Und die Wahrheit sei nun einmal, dass ein Bürgerkrieg gegen den Islam bevorstehe. Er habe am Wochenende nach dem Attentat nichts weiter getan als alte Filme geguckt, einen neuseeländischen Pinot Noir getrunken und ein Buch über mittelalterliche Geschichte gelesen, und dies sei „das Extremste, was ich an einem Durchschnittswochenende mache“. Der „Fjordman“ als Nerd: aber das ahnten wir schon, und Anders B. vermutlich auch.)

In österreichischen Medien wird eher vermutet, mit „Wiener Schule“ sei das Modell FPÖ gemeint. Ich halte das auch für wahrscheinlich. Andererseits ist es nicht so wichtig, weil die Übergänge von radikalen Bloggern zu radikalen Parteien zu nicht ganz so radikalen Bloggern, die aber der Meinung sind, diese radikalen Parteien hätten doch nicht ganz Unrecht oder müssten doch wenigstens sagen dürfen, was sie meinen, fließend sind.

Es ist Zeit, dass diese Grenzen klarer gezogen werden. Jeder, der bislang mit den Ideen der Neuen Rechten geflirtet hat, ist gefordert, das Beleidigtsein aufzugeben und sich klar für die offene Gesellschaft und gegen ihre Feinde zu positionieren: Hic Rhodus, hic salta.

Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog starke-meinungen.de. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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