Die Aktionen der "Identitären Bewegung" finden mittlerweile kaum noch Widerhall außerhalb des eigenen politischen Spektrums. Die Gruppe scheint entzaubert. Wie geht es weiter und hat die Gruppe bisher etwas erreicht?
Von Simon Raulf
Die sogenannte „Identitäre Bewegung“ (IB) hat sich mit ihrer gescheiterten „Besetzung“ des Bundesjustizministeriums blamiert. Ungefähr 50 Personen versuchten am 19. Mai 2017, mit einer Leiter in das Bundesjustizministerium einzudringen. Die Polizei unterband den Versuch umgehend, nahm den Veranstaltungsleiter kurzfristig fest und führte die „Identitären“ einzeln ab. Mehr als Hohn und Spott in den sozialen Medien bleibt von dieser Aktion nicht. Generell war es in den vergangenen Monaten ruhiger geworden um die seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppe. Im vergangenen Jahr war die Gruppe erstmal in einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden - nach der Kletteraktion auf dem Brandenburger Tor oder der „Blockade“ vor der CDU-Parteizentrale in Berlin, die in Wahrheit ein Sit-in vor verschlossenen Türen außerhalb der Öffnungszeiten war. Allerdings wurde nach der ersten Verwunderung schnell deutlich, dass es sich bei den "Identitären" nicht um eine Gruppe heimatliebender Jugendlicher handelt, sondern um erwachsene Rechtstextreme. Dazu beigetragen haben vor allem Recherchen und Publikationen zur „Neuen Rechten“, welche die rechtsextremen Verbindungen und Inhalte der Gruppe aufgedeckt und zu einer realistischen Einschätzung geführt haben (vgl. auch BTN).
Im Winter wurde es still um die "IB", erste Aktionen in 2017 fanden nicht viel Aufmerksamkeit. Im April 2017 verteilten "IB"ler Plakate vor dem Prozess in Arnsdorf, bei dem es um eine vermeintliche Bürgerwehr ging, die einen geistig verwirrten Asylbewerber mit Gewalt aus einem Laden geworfen und ihn an einen Baum gefesselt hatte. Ein Plakat, dass die "IB" im Mai 2017 an einem Schiff in Bremen aufhing, war kaum mehr eine Lokalspalten-Meldung wert. Die Strahlkraft der „IB“ scheint mehr und mehr zu verblassen. Ist der Spuk also vorbei?
Wieso verpuffen die Aktionen der "IB" zunehmend?
Ein Grund dafür, dass die Aktionen der „IB“ außerhalb des eigenen politischen Spektrums kaum noch Wirkung zeigen: Wie sich aus Recherchen mehrerer Journalist_innen ergeben hat, handelt es sich gar nicht um eine Bewegung, sondern eine Gruppe von wenigen hundert gut vernetzten Personen (vgl. ZEIT). Die „IB“ gibt sich jedoch alle Mühe, das Bild der „Jugendbewegung“ aufrecht zu erhalten. Vor allem im Internet wird der Kampf um mediale Aufmerksamkeit geführt. Auch bei der Aktion vor dem Bundesjustizministerium war extra eine Person anwesend, welche die gesamte Aktion gefilmt hat. „IB“-Mitglieder organisieren sich in Hotspots wie Halle oder Rostock und reisen für Aktionen quer durch die Bundesrepublik. So waren auch bei der versuchten "Besetzung" des Bundesjustizministerium mehrere Personen von „Kontrakultur Halle“, sowie aus dem Umfeld der „IB“ in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern anwesend. Häufig erhalten sie dabei auch Unterstützung aus Österreich. Ähnlich wie in Frankreich, dem Ursprungsland der „Identitären“, sind sie dort besser aufgestellt als in Deutschland. Die Gruppe um den führenden Kopf, Martin Sellner, unterstützt die deutsche Fraktion regelmäßig mit Personal.
Dass ihre Aktionen wenig mit Spontaneität und Aktionismus zu tun hat, lässt sich auch durch das Auftauchen eines internen Strategiepapiers nachvollziehen. Demnach ist die rechtsextreme Gruppe, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, streng hierarchisch organisiert. Selbst Flyerverteilen wird geplant und mit einer „nationalen Leitung“ abgestimmt (vgl. Störungsmelder). All dies geschieht in einem Auftreten im Corporate Design, um im Internet, wo die aufwendig aufbereiteten Videos der Aktionen dann verbreitet werden, das Bild einer lebhaften Bewegung aufrechtzuerhalten. Wohl auch mit der Absicht die Finanzierung weiterer Projekte über die nahestehende "Ein-Prozent-Bewegung" zu sichern, einer Art NGO für rechtsextreme Aktivitäten.
Auch das das Bild der patriotischen, um das Vaterland besorgten Jugendlichen ist längst widerlegt. Recherchen haben gezeigt, dass mehrere Personen Verbindungen oder eine Vergangenheit in der rechtsextremen Szene haben. Die Erfahrung innerhalb der Organisation stammt zum Teil aus früherer Aktivität bei der Jungendorganisation der NPD, den „Jungen Nationaldemokraten“, oder aus dem Umfeld von rechten Burschenschaften.
Die „Identitäre Bewegung“ - nur ein rechtsextremer Trend?
Obwohl die Gruppe stagniert und es ihr nicht gelingt, den gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, den sie sich so pathetisch auf die Fahnen schreiben – die Schaffung eines "ethnisch homogenen" Volkes – sollte das Potential, das von den Mitgliedern ausgeht, nicht unterschätzt werden. Viel mehr haben einige Forderungen der Rechtsextremen Einzug in gesellschaftliche Debatten gefunden. Das rassistische Bezeichnungen wie „Nafri“ von Politiker_innen und Polizei verwendet und sogar verteidigt werden, deutet doch auf eine Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses hin. Einer der Kernthesen der „IB“, die Frage nach Herkunft und Identität, die sie klar rassistisch beantworten, wird in Teilen auch in der politische Mitte in der Diskussion um eine „Leitkultur“ und die doppelte Staatsbürgerschaft geführt. Auch biologistischer Rassismus scheint kein Tabu mehr zu sein, was sich in der Diskussion um „Racial Profiling“ offenbart, also der polizeilichen Kontrolle aufgrund körperlicher Merkmale.
Nicht zu unterschätzen ist zudem die Vernetzung der „IB“. So zählen sich zu deren Unterstützer_innen Mitglieder der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die sich zum Teil öffentlich mit der Gruppe solidarisieren. Es gibt auch personelle Überschneidungen. So ermittelt die Polizei, laut Recherchen des Störungsmelders gegen einen Landesvorstand der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“, der an der Aktion vor dem Justizministerium beteiligt sein soll. Er soll der Fahrer des Mietwagens gewesen sein, mit dem eine Leiter zum Eindringen in das Ministerium transportiert wurde. Er flüchtete, bevor die Polizei eingreifen konnte. Auch bei den Demonstrationen von Pegida ist die „IB“ regelmäßig präsent. Dazu kommt die personelle Überschneidung mit Neonazis. Die „Ein-Prozent“-Bewegung sichert derweil die langfristige Finanzierung weiterer neurechter Projekte, denn auch die Miete von Autos und Leitern kosten Geld. Die „IB“ gilt dabei als „aktionistischer Arm“ der Neuen Rechten und Rechtspopulist_innen.
Rechtsextremes Weltbild nicht gesellschaftsfähig
Dass bestimmte politische Zerrbilder der „IB“ Einzug in gesellschaftliche Debatten gefunden haben, ist nicht eine alleinige Leistung der Gruppe, doch sie trägt dazu bei. Sicher hat die „IB“ keine Chance, sich politisch zu etablieren. Dafür sind ihre Forderungen zu radikal, ihr Personal politisch zu vorbelastet, die Distanzierung vom Rechtsextremismus zu fadenscheinig. Ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild ist in Deutschland nicht mehrheitsfähig. Doch zeigt sich, dass rechtspopulistische und neurechte Akteure gesamtgesellschaftliche Einstellungen beeinflussen können – in Richtung Abwertung und Ausgrenzung von Gruppen, die als nicht zur Gesellschaft gehörig definiert werden.
Die Zukunft der „IB“
Am 17. Juni hat die „Identitäre Bewegung Deutschland“ zu einer Demonstration in Berlin aufgerufen. Es werden wohl einige hundert Personen anreisen, die in ganz Deutschland mobilisieren, und auch aus Österreich und Frankreich werden sich Rechtsextreme auf den Weg machen (Infos: berlin-gegen-nazis.de). Auf die Öffentlichkeit wird die Demonstration voraussichtlich keinen großen Eindruck machen. Dennoch dient die Demonstration zur Festigung und Vernetzung innerhalb der Szene, einer Szene gut organisierter und radikalisierter junger Menschen, die zwar bisher betonen, nur Aktionen zu machen und keine Gewalt auszuüben. Doch jüngste Entwicklungen lassen auch daran Zweifel aufkommen: In Frankreich wird gegen Identitäre wegen des Mordes am Punk-Musiker Hervé Rybarczyk im Jahr 2011 ermittelt – ein Rechtsextremer hatte dies bei einen Geständnis wegen anderen Gewalttaten angedeutet (Störungsmelder), und in Deutschland ermittelt derzeit der Militärische Abschirmdienst (MAD), ob der rechtsextreme Bundeswehrsoldat Franco A. Kontakte zu den Identitären gehabt hat (vgl. FAZ, BTN).